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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0272
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Max Dvorak.

unvermittelt wird neben dem tiefen Enzianblau und Karminrot der älteren französischen Ateliers das
grelle Azurro und Rosso der Italiener angebracht und auf demselben Blatte finden wir oft das franzö-
sische Dornblattornament mit italienischen Rankendekorationen einfach zusammengestellt. Bei den
Flußmündungen sieht man ja auch noch lange den Lauf der beiden Ströme, die zusammengeflossen sind.

Der zweite italianisierende Stil. Bald können wir jedoch Versuche beobachten, aus den
fremden und eigenen Elementen einen einheitlichen Stil zu gestalten, für dessen Gestaltung die Werke
der Schule von Avignon maßgebend gewesen zu sein scheinen. Jedenfalls weisen nordfranzösische
Bilder und Miniaturen beiläufig in den Jahren i38o—1400 einen ähnlichen Stil auf wie z. B. gleich-
zeitige Arbeiten der böhmischen Schule, die unmittelbar unter avignonesischem Einflüsse gestanden ist.
Es ist jener Stil, den man manchmal als den burgundischen zu bezeichnen pflegt, ohne anderen Grund, als
daß einige Werke, die diesen Stil aufweisen, im Auftrage des Herzogs von Burgund hergestellt wurden.

Als charakteristische Beispiele dafür
können angeführt werden: an Miniaturen
die Werke des Jaquemart de Hesdin (Fig. 40)
und seiner Gesellen (in den Gebetbüchern
des Herzogs von Berry, Mst. lat. 919 und
18914 der Pariser Nationalbibliothek und
Ms. 11060 in Brüssel) oder die Bilder-
bibel Nr. 9001, 9002 der Brüsseler Biblio-
thek, die nicht im XV., wie Durrieu ver-
mutete, sondern noch im XIV. Jahrhundert,
wahrscheinlich für den Herzog von Burgund
illuminiert wurde und die ohne Zweifel unter
avignonesischem Einflüsse steht, oder die
schöne Bilderbibel Mst. fr. 9561 der Pariser
Nationalbibliothek, die man sogar als eine
italienische Arbeit angesehen hat; an Tafel-
bildern die in der letzten Zeit unverdienter-
maßen zu großem Ruhme gelangten Tafeln,
welche Melchior Broederlam in den Jahren
1392—i3gg für den Herzog von Burgund
malte (Fig. 38), und eine ganze Reihe Trag-
altärchen ähnlicher Art, oder das schöne
Tondo mit der Darstellung einer Pietä im
Louvre (Fig. 3g) und verwandte Bilder; an
Tapisserien die Apokalypse von Angers oder
die Darstellungen aus der Legende des heil. Piat in der Kathedrale von Tournai, die im Jahre 1402
gewebt wurden; an Glasgemälden die Uberreste der Fenster, die der Herzog von Berry in der Kathe-
drale und in der Sainte Chapelle von Bourges ausführen ließ. Auch die schöne Vorzeichnung für ein
Glasgemälde mit der Himmelfahrt Mariä im Louvre kann hier genannt werden, die zuerst für italie-
nisch angesehen und dann mit ebenso wenig Recht Beauneveu zugeschrieben wurde.

Für den Stil dieser Werke ist es bezeichnend, daß man sie vielfach für italienisch hielt, wo nicht
äußere Gründe den französischen Ursprung außer Zweifel setzten. Manchmal könnte es wahrlich
scheinen, als hätten wir es mit Arbeiten irgend welcher weniger bekannten italienischen trecentesken
Lokalschule zu tun; so gleichen diese französischen Malereien in ihren malerischen Aufgaben und Lösun-
gen den transalpinischen Vorbildern. Während bei Werken der vorangehenden Generation nur einzelne
Entlehnungen aus der italienischen Kunst vorkommen, scheint an den Gemälden der Achtziger- und
Neunzigerjahre alles italienisch zu sein: die Kompositionen, die Landschaften und Innenräume, die
Figuren, die Formengebung, die Farben. Würde sich die Pietä im Louvre (Fig. 3g) irgendwo in Ober-
 
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