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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0297
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Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck.

29I

Norden verschoben und zu Beginn des XV. Jahrhunderts konzentriert sie sich fast ausschließlich in
den großen nordfranzösischen und flandrischen Städten, eine der Hauptbedingungen ihrer Blüte
bildend. Man könnte beinahe vermuten, daß es gerade die Geschicke dieser Fabrikation gewesen sind,
welche die große alte kulturelle
Strömung aus den Seine- und Loire-
gebieten nach Hainaut und Flan-
dern geleitet haben, wenn nicht
auch andere Ursachen noch ohne
Mühe gefunden werden könnten.1
Aber jedenfalls können wir an Wer-
ken der französischen und flandri-
schen Textilkunst den geschilder-
ten Verlauf der allgemeinen und
künstlerischen Entwicklung neu be-
legen. Es gibt, obwohl das meiste
heute verloren gegangen ist, noch
textiler Werke aus dem XIV. und
XV. Jahrhundert genug, die uns die
Aufeinanderfolge von Stilphasen,
wie wir sie schilderten, auch in die-
sem Kunstzweige verfolgen lassen,
von Werken, welchen noch der alte
gotische Zeichenstil zugrunde liegt,
wie z. B. der bekannten Darstellung
im Tempel oder den gestickten
Szenen aus dem Leben des heil.
Martin im Musee Cinquantenaire
zu Brüssel, zu den Werken, welche
die italienische Einwirkung aufwei-
sen, wie z. B. die nicht minder be-
kannte Apokalypse von Angers, und
bis zu Werken, welche jenen na-
turalistischen Stil zeigen, den wir
als die letzte Phase der gotischen
Malerei in Frankreich festgestellt
haben. Statt diese Entwicklung im
einzelnen zu schildern, wollen wir
sie an einem Denkmale belegen,
welches in seiner Art einzig da-
stehen dürfte. Es ist dies jene Suite
von goldgestickten Meßgewändern,
welche sich im Hofmuseum in
Wien befindet und welche einst

für ein Werk des Jan van Eyck gegolten hat. Es wäre sicher nichts Unmögliches oder im vorhinein
Unwahrscheinliches, daß der große Hofkünstler des burgundischen Hofes, aus dessen Besitze diese
kostbarsten Gewänder der Welt stammen, die Zeichnung für sie geliefert hätte; aber jedenfalls tat er

Fig. gl. Ein heil. Einsiedler.

Stickerei von einem Pluviale im Wiener Hofmuscum.

1 Es scheint mir unzweifelhaft zu sein, daß in demselben geschichtlichen und kulturellen Zusammenhange auch die
Anfänge der Holzschneidekunst zu suchen sind.

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