Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

DOI issue:
I. Theil: Abhandlungen
DOI article:
Dvořák, Max: Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0307
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck.

3oi

nicht. Nie werden sie uns aber überzeugen, daß ein einfacher Willensakt genügt, einen reichgeglieder-
ten großen Bau, von einem bestimmten Standpunkte gesehen, mit objektiver Treue wiederzugeben.
Ebenso könnte man vermuten, daß jedermann und zu jeder Zeit die Dampfmaschine hätte erfinden
können.

Bereits an den ersten Werken der gotischen Kunst können wir Versuche beobachten, Objekte in
ihrer individuellen Form und Erscheinung treu nach der Natur darzustellen. So konnte man z. B. bei
den Olivenzweigen, welche unter den Dekorationen der Fassade von Nötre Dame zu Paris zu finden
sind, vermuten, daß es moderne Studien nach der Natur seien, und dasselbe gilt von unzähligen einzel-

Fig. 54. Werkstatt der Brüder von Limburg, Ein Schloß des Herzogs von Berry (Bicetre?).
Miniatur in dem Gebetbuche des Herzogs von Berry in Chantilly (Ausschnitt).

nen naturalistischen Motiven in der gleichzeitigen Skulptur und Malerei. Der Kunst des XIII. oder XIV.
Jahrhunderts eine idealisierende Tendenz zuzumuten wäre dasselbe, als wollte man die Taten der
Menschen jener Zeit auf neuzeitige Humanitätsideale zurückführen. Die naturalistischen Bestrebungen
waren im Gegenteil in wenigen Perioden der Kunst so stark und vorherrschend wie in der frühgoti-
schen Kunst, der kein Heiligtum heilig genug gewesen ist, daß sie es nicht mit Zoten geschmückt
hätte, die auf diese Bestrebungen zurückzuführen sind. Es handelte sich jedoch dabei nicht nur um
Zoten und Drolerien sondern um die ganze Mannigfaltigkeit der Natur. Wie in den Zeichenbüchern
der Japaner findet man in den Illustrationen zu den Fabeln des Asop, in den Jagdbüchern, in den
großen Bilderzyklen der Ritterromane einen unerschöpflichen Schatz von einzelnen Naturbeobachtun-
gen der mannigfaltigsten Art. Man wußte den Flug der Vögel, die Bewegungen der Tiere, die komi-
schen Grimassen der Goliarden, die Waffen der Ritter oder ein Tischgerät, Bauern und tanzende
 
Annotationen