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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0316
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3 io

Max Dvorak.

menten die Unhaltbarkeit jener falschen Zuweisungen entdecken müssen. Denn wenn wir genauer
zusehen, finden wir leicht, daß jene von den Miniaturen, die mit den von Weale dem Hubert zuge-
wiesenen Bildern übereinstimmen, von einer anderen Hand sind als die, welche sich in erwähnter Weise
datieren lassen, und daß dieser Unterschied auch mit einer allgemeinen und prinzipiellen
stilistischen Verschiedenheit zusammenfällt. Die Bilder der datierbaren Gruppe— es ist dies
von den Turiner Miniaturen der erwähnte Reiterzug an einer Meeresküste, Madonna von heil. Jung-
frauen umgeben, die Heili-
gen Julianus und Martha auf
dem Meere und der Judas-
kuß mit der dazugehörigen
Verspottung Christi in der
unteren Randleiste — weisen
einen Stil auf, der, so ent-
wickelt er auch ist, doch
noch einen Zusammenhang
mit der Malerei des XIV. Jahr-
hunderts deutlich erkennen
läßt. Die Gewänder sind
noch gotisch geschwungen,
die Hintergrundsebene gleicht
einer aufsteigenden Bühne
und an den Köpfen und an-
deren Körperformen kann
man noch manche Anklänge
an trecenteske Typen beob-
achten. Diesen Miniaturen
gegenüber sind die der zwei-
ten Gruppe, zu welcher die
drei Darstellungen des thro-
nenden Gottes, die Pietä, der
betende König und auch die
das heil. Lamm anbetenden
Jungfrauen gehören,stilistisch
so vorgeschritten wie sonst
nur Werke, die erst gegen die
Mitte des Jahrhunderts ent-
standen sind. Wären diese
Miniaturen nicht zufällig in
derselben Handschrift, in der sich auch Bilder befinden, die im ersten Viertel des Jahrhunderts ent-
standen sind, so wäre es wohl niemandem eingefallen, sie vor den Genter Altar zu datieren. Daß
ihre Entstehungszeit erst nach der Schöpfung des Genter Altares zu setzen sei, ließe sich auf Grund
einer Stilanalyse ausführlich nachweisen. Es dürfte jedoch auch ein Verweis auf die große Uberein-
stimmung dieser Miniaturen einerseits mit den illuminierten Handschriften, die gegen die Mitte des
Jahrhunderts für Philipp den Guten gemalt wurden, andererseits mit den Werken des Petrus Kristus
genügen. Man vergleiche nur die Pietä mit der Kreuzigung des letztgenannten Meisters in Wörlitz
oder mit den Miniaturen des Breviers Philipps des Guten in Brüssel. Auch äußere Gründe sprechen
dafür, daß diese Miniaturen später nachgetragen wurden als jene, welche im Auftrage Wilhelms IV. von
Bayern-Hainaut gemalt wurden. Das Zelt des Königs, der auf einer der Miniaturen im Gebete versun-
ken dargestellt ist, trägt die Wappen des französischen Königshauses, das Heer, welches vor dem Zelte

Fig. 60. Unbekannter Meister, Die Heiligen Julianus und Marta auf dem Meere.
Miniatur aus dem Turiner Gebetbuche des Herzogs von Berry.
 
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