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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0322
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3 16 Max Dvofäk.

geradezu unmöglich, die ganze Skala der stofflichen Darstellung, der Farbennuancen, der Lichteffekte,
der Modellierungsfeinheiten, welche, wie wir gesehen haben, von dem neuen Stile angestrebt wurden,
in der alten malerischen Technik wiederzugeben. Der neue Stil war nicht an die neue Technik ge-
bunden, doch den Malern waren in mancher Hinsicht die Hände gefesselt, so lange sie in der alten
Technik malten, wie man es in Italien beobachten kann. In der alten Technik mit ihren schwierigen
und schwerfälligen Übermalungen dieselben Aufgaben zu lösen wie in der neuen Technik war ebenso
unmöglich, als wenn man die Effekte einer Radierung von Rembrandt in einem Stahlstich hätte er-
zielen sollen. Deshalb ist es auch begreiflich, warum die Italiener die gesteigerten Postulate eines
malerischen Naturalismus, die sie an niederländischen Vorbildern kennen lernten, mit der neuen nie-
derländischen Technik verwechselten. Diese Postulate waren aber, wie wir sahen, älter als die neue
Technik, die sie also nicht veranlaßte sondern vielmehr auf ihnen beruht. Es liegt kein Grund vor
daran zu zweifeln, daß sie, wie uns die Quellen berichten, jener Meister erfand, der eine weitgehen-
dere Anwendung dieser Forderungen anstrebte als seine Vorgänger. Dies ist übrigens eine Frage von
untergeordneter Bedeutung und völlig belanglos, ob diese Erfindung durch einen Zufall geschah oder
auf Grund eines bewußten Suchens.

Jan van Eyck war wohl neben Tizian der größte Maler, den es je gegeben hat, und wenn wir
seine Bilder mit den Werken seiner Vorgänger vergleichen, so möchten wir die so bescheiden klingen-
den und in der Regel auch so gedeuteten Worte: «Als ich kann», die er unter seine Bilder zu setzen
pflegte, zu jenen Bescheidenheiten rechnen, von welchen Turgeniew einmal behauptet, sie wären der
Ausdruck des auf einer absoluten Überlegenheit beruhenden Selbstbewußtseins. Doch ein zeitloses
Phänomen, wie ihn uns alle Biographen seit Carel van Mander schilderten, war dieser große Künstler
nicht sondern seine Kunst wurde wie bei einem jeden anderen Künstler durch ihre Zeit und durch die
vorangehende Entwicklung der Kunst bedingt und bestimmt. Eine Betrachtung dieser Entwicklung
zeigt uns die Bedeutung Jans aber im wesentlichen in jenem Lichte, wie sie ihm nahestehende Schrift-
steller gesehen haben, deren Charakteristik wir etwa so mit ihren eigenen Worten zusammenfassen
könnten:

Johannes Gallicus war der erste Maler seiner Zeit und hat bewunderungswürdige Bilder ge-
schaffen, die sich durch technische Neuerungen, durch eine sichere Beherrschung der Perspektive, vor
allem aber durch ihre Naturtreue auszeichnen. Darin hat er seine Vorgänger und Zeitgenossen über-
troffen und sich für alle Zeiten unsterblichen Ruhm verdient oder, wie Giovanni Santi kurz dasselbe
sagt: «A Brugia fu fra gli altri piü lodati il gran Jannes.»

Das Prinzip des neuen Stiles Jans und der ganzen neuen Kunst war kein Mysterium, welches er
oder jemand seiner Zeitgenossen oder «seine Zeit» erst und auf einmal entdeckt hätte. Das Geheimnis
dieses Prinzips, das Geheimnis der neuen Kunst besteht in der Entwicklung der Kunst bei den neuen
Kulturvölkern, die in Mitteleuropa das antike Erbe übernommen haben. Einer der letzten Huma-
nisten und der ersten Historiker, Winckelmann, versuchte noch, den Völkern, die im Mittelalter und in
der Neuzeit die Träger der kulturellen Entwicklung nördlich der Alpen gewesen sind, jede Bedeutung
für die Geschichte der bildenden Kunst vollständig abzusprechen. Eine solche Anschauung läßt sich
nur durch eine vollständige Unkenntnis der Monumente und ihrer Bedeutung erklären. Wenn wir
die Geschichte dieser Völker betrachten, so können wir beobachten, daß sich das geistige Leben und
die ganze Kultur bei ihnen vollkommen kontinuierlich entwickelte. Was auf den Universitäten und
in den höheren sozialen Schichten in Frankreich begründet wurde, reifte in den ersten Jahrhunderten
der Neuzeit in den Niederlanden und in Deutschland, aus den Niederlanden kam aber dieses kultu-
relle Vermächtnis der modernen Zeit nach England, wo es noch heute bewahrt wird. Fast alle Strö-
mungen, die dem geistigen Leben oder der materiellen Kultur des Mittelalters und der Neuzeit nörd-
lich der Alpen einen neuen Inhalt gegeben haben, sind eine Frucht dieser einheitlichen und fort-
schreitenden Evolution. Parallel mit ihr entwickelte sich aber im Norden auch die Kunst, kontinuierlich
zu neuen Problemen und zu neuen Darstellungsmitteln fortschreitend. Zwischen den Skulpturen von
Chartres und dem Genter Altare, zwischen dem letzteren und Rembrandt, zwischen Rembrandt und
 
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