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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 26.1906/​1907

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I. Theil: Abhandlungen
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Seidlitz, W. von: Ambrogio Preda und Leonardo da Vinci
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https://doi.org/10.11588/diglit.5946#0047
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W. von Seidlitz.

Reiz, der von den Köpfen des Engels und der Maria ausstrahlt (man vergleiche die großen Abbildun-
gen bei Müller-Walde, Nr. 60 A und C), sein Widerspiel in so manchen der Schöpfungen Predas,
wie z. B. in der, wenn auch noch etwas herberen Madonna Litta (Abb. bei Müller-Walde, Nr. 50),
wo das Jesuskind überdies nach demselben Modell gemalt zu sein scheint wie der Londoner Johannes-
knabe (nicht aber der Pariser). Die
bei Müller-Walde daneben ste-
hende Zeichnung Leonardos zum
Kopf der Madonna Litta (Nr. 51)
zeigt, obwohl sie schon von Preda
im Umriß übergangen ist, wie
sich die Auffassungsweise des Mei-
sters von der des Nachahmers da-
durch unterscheidet, daß bei je-
nem noch ein unergründlicher
Zauber weltfremder Melancholie
übrig bleibt, während dieser sein
Können in der Darstellung einer
unbewußten äußerlichen Anmut
erschöpft. Auch die stoffliche Wie-
dergabe des Armeis des Engels
kann Preda, der gerade auf solche
Einzelheiten besondere Sorgfalt
verwendete, sehr wohl zugemutet
werden, während Leonardo sie,
nach seinen Gewandzeichnungen
in Windsor zu schließen, wahr-
scheinlich noch übertroffen hätte.
Erscheint es somit nicht nötig,
irgend welche Beteiligung Leo-
nardos an der Ausführung anzu-
nehmen, so bleibt freilich die Mög-
lichkeit übrig, daß er Preda durch
seinen Rat unterstützt habe. Doch
sehe ich auch zu einer solchen
Annahme nicht den mindesten
Grund, da die Änderungen in Hal-
tung und Bewegung der einzelnen
Gestalten, vor allem bei dem En-
gel, nicht der Art sind, daß sie
irgend alsVerbesserungen bezeich-
net werden könnten.1 Es bleibt

als Unterscheidungsmerkmal von dem Louvrebild nur der größere Liebreiz in den Köpfen übrig; ob
der aber, zumal wenn er, wie hier, durch eine größere geistige Leere erkauft wird, als Grund für eine
höhere Einschätzung anerkannt werden darf, erscheint doch sehr fraglich. Unser Geschlecht empfin-
det z. B. in dieser Hinsicht schon durchaus nicht mehr so, wie die Zeit Waagens es getan hat, da uns

Fig. 21. Weibliches Bildnis.
Mailand, Ambrosiana, Nr. 25.

1 Wölfflin, Die klassische Kunst, 1899, S. 21, Anm., sagt: «Die Weglassung der Hand (des Engels) im Londoner Bilde
ist im Sinne des späteren Schönheitsgefühles sehr begreiflich; indessen würde Leonardo, wenn er die neue Redaktion besorgt
hätte, die dadurch entstehende Lücke jedenfalls zu füllen gewußt haben: jetzt ist dort trotz der vorgeschobenen Schulter des
Engels ein Loch im Bilde».
 
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