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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 26.1906/​1907

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I. Theil: Abhandlungen
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Tietze, Hans: Annibale Carraccis Galerie im Palazzo Farnese und seine römische Werkstätte
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https://doi.org/10.11588/diglit.5946#0082
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Hans Tietze.

nur um die Beine geschlungen; ein großäugiger Amor schmiegt sich zärtlich an sie. Hoch in den Lüften be-
gleiten drei Amoretten den Zug; der eine trägt eine gewaltige Amphore, einer die Trinkschale; der vorderste
schleppt mühsam einen Korb mit Trauben.

Es ist bei diesem Bilde ebensowenig wie bei den folgenden auf all die Einzelheiten ikonographi-

scher Natur hinzuweisen, die genau der
Antike oder klassischen Schriftstellern ent-
lehnt sind; lagen doch zahlreiche mytho-
logische Handbücher vor, von denen
manche sogar ausdrücklich für Künstler
bestimmt waren. Übrigens haben die um-
ständlichen Beschreibungen der Galerie,
die wir besitzen, gerade auf diese Dinge
eine besondere Aufmerksamkeit verwen-
det und für jedes Detail Dutzende von
Belegstellen aus griechischen und römi-
schen Poesien, besonders aus der «Bibel
der Maler», den Metamorphosen, heran-
gezogen.1

Merkur und Paris (Fig. 15).

Der schöne Schäfer, ein derber Jüng-
ling, sitzt auf einer kleinen Erhöhung; den
violetten Mantel hat er lässig um den kräfti-
gen Körper geworfen; die linke Hand hält
das Pedum, auf dessen gekrümmten Teil der
rechte Fuß aufgestützt ist, während die rechte
sich der verhängnisvollen Gabe Merkurs ent-
gegenstreckt. Dieser schwebt in steiler Bahn
vom Himmel herab, so daß der gelbe Mantel
zur Brust emporgleitet. In der rechten Hand
hält er den Apfel der Eris, in der linken gleich
seinem Vorbild — dem Merkur des Psyche-
zyklus in der Farnesina — statt des Cadu-
caeus die Tuba.2 Der Hirtenhund, weiß und
grauschwarz getigert, schnuppert mißtrauisch
dem unerwarteten Besuch entgegen. Hinter
Paris bildet kräftiger Baumwuchs eine Wand,
Fig. 15. Annibale Carracci, Merkur und Paris. auch links sind reich belaubte Bäume zu einer

Rom, Paiazzo Farnese. Kulisse zusammengedrängt; hinten steht ein

einzelner Baum und belebt den Durchblick
zwischen Paris und dem Hunde, so daß die Hand jenes sich nicht so ungeheuer von dem hellen, von Wolken-
ballen durchschnittenen Himmel abhebt.

Pan und Selene (Fig. 16).

Am Fuße eines mächtigen Nadelbaumes, an dessen Stamm er seine Flöte gehängt hat, steht der bocksbeinige
Gott der Herden; das grünliche Haar gleicht den Kiefernnadeln darüber; mit kräftig gespreizten Bocksbeinen
steht der Gott auf sein Pedum gestützt da und reicht der heranschwebenden Selene ein weißes Ziegenfell. Sie ist
mit einem grünlich und violett schimmernden Gewände bekleidet und lächelt dem zottigen Freier holdselig zu.
Neben Pan steht eine Ziege mit weißem weichen Fell. Rechts hinten heben sich einzelne braune Bäume von
dem hellblauen Himmel ab.

1 Diese Beschreibungen gehen zumeist auf Bellori, p. 21 ff., zurück; eine breit angelegte Schilderung mit einem wahren
Rattenkönig von Zitaten im Texte zu dem zitierten Tafelwerke von Cesio; siehe auch Michelangelo Prunetti, Descrizione
Storico-Critico-Mitologica delle celebri pitture esistenti nei reali palazzi Farnese e Farnesina in Roma, Roma 1816.

2 Förster, Farnesinastudien, Rostock 1880, erklärt das so, daß Merkur hier recht eigentlich als deus vocalis gekenn-
zeichnet werden soll; andere Erklärer beziehen die Tuba auf den Ruhm des Paris.
 
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