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Hans Tietze.
Nereide, ist mit dem Lenken der Delphine vollauf beschäftigt, die andere, von der man nur einen Teil der Brust
und das runde liebliche Kindergesichtchen sieht, schaut mit unverhohlenem Erstaunen zu dem sonderbaren Lieb-
haber hinüber.1
Die hier angedeutete Version des Mythus, daß nämlich Polyphems Werben ohne Erhörung bleibt,
war schon im Altertum die gebräuchlichere; aus ihr entwickelte sich die Annahme eines Nebenbuhlers
Namens Acis.2
Polyphem tötet den Acis (Fig. 22).
Polyphem hat Galatea mit seinem glücklicheren Rivalen ertappt und schickt sich an, Rache zu nehmen;
die Liebenden fliehen gegen das Meer zu. Der Zyklop beugt sich zurück, um den Fliehenden ein Stück Felsen
Fig. 21. Annibale Carracci, Polyphem und Galatea.
Rom, Palazzo Farnese.
nachzuschleudern. Die Fistula ist mit einem Bande umgehängt, der Mantel wallt in mächtiger Bewegung um die
Glieder des Riesen. Hastig fliehen die beiden; Acis, den der hellgrüne Mantel im Laufe hindert, hebt angstvoll
abwehrend die Hand und versucht einen scheuen Seitenblick; Galatea, die dem rettenden Meere etwas näher ist,
blickt zurück. Geängstigt starrt ihr Auge, denn im nächsten Augenblick schon muß das furchtbare Geschoß
heransausen. Kahle Felswände erhöhen die schaurige Stimmung; nur wenig dürftiges Grün ist zu sehen.
Apollo, den Hyacinth raubend.
Der jugendliche Apollo, von Wolken getragen, fliegt durch die Lüfte; in der Rechten hält er die Lyra, mit
der Linken zieht er den blonden Knaben mit sich, der die Blume, die nach ihm heißt, in der Hand hält. Durch
das grünlich und orange schillernde Kleid weht der Wind und das Paar scheint in rasendem Fluge durch den
Luftraum zu eilen.
1 Dieses Sujet bleibt in der Schule der Carracci auch in der Folge eines der beliebtesten; Albani hat eine ähnliche
Komposition in Bassano de Sutri, Badalocchio im Palazzo Verospi in Rom gemalt; andere Schulbilder im Palazzo Doria in
Rom, in der Sammlung Herbert in Kirchbichl, von Guido Reni im Palazzo Corsini in Rom etc.
2 Holland, De Polyphemo et Galateia, Leipziger Studien 7, S. 141 fr.
Hans Tietze.
Nereide, ist mit dem Lenken der Delphine vollauf beschäftigt, die andere, von der man nur einen Teil der Brust
und das runde liebliche Kindergesichtchen sieht, schaut mit unverhohlenem Erstaunen zu dem sonderbaren Lieb-
haber hinüber.1
Die hier angedeutete Version des Mythus, daß nämlich Polyphems Werben ohne Erhörung bleibt,
war schon im Altertum die gebräuchlichere; aus ihr entwickelte sich die Annahme eines Nebenbuhlers
Namens Acis.2
Polyphem tötet den Acis (Fig. 22).
Polyphem hat Galatea mit seinem glücklicheren Rivalen ertappt und schickt sich an, Rache zu nehmen;
die Liebenden fliehen gegen das Meer zu. Der Zyklop beugt sich zurück, um den Fliehenden ein Stück Felsen
Fig. 21. Annibale Carracci, Polyphem und Galatea.
Rom, Palazzo Farnese.
nachzuschleudern. Die Fistula ist mit einem Bande umgehängt, der Mantel wallt in mächtiger Bewegung um die
Glieder des Riesen. Hastig fliehen die beiden; Acis, den der hellgrüne Mantel im Laufe hindert, hebt angstvoll
abwehrend die Hand und versucht einen scheuen Seitenblick; Galatea, die dem rettenden Meere etwas näher ist,
blickt zurück. Geängstigt starrt ihr Auge, denn im nächsten Augenblick schon muß das furchtbare Geschoß
heransausen. Kahle Felswände erhöhen die schaurige Stimmung; nur wenig dürftiges Grün ist zu sehen.
Apollo, den Hyacinth raubend.
Der jugendliche Apollo, von Wolken getragen, fliegt durch die Lüfte; in der Rechten hält er die Lyra, mit
der Linken zieht er den blonden Knaben mit sich, der die Blume, die nach ihm heißt, in der Hand hält. Durch
das grünlich und orange schillernde Kleid weht der Wind und das Paar scheint in rasendem Fluge durch den
Luftraum zu eilen.
1 Dieses Sujet bleibt in der Schule der Carracci auch in der Folge eines der beliebtesten; Albani hat eine ähnliche
Komposition in Bassano de Sutri, Badalocchio im Palazzo Verospi in Rom gemalt; andere Schulbilder im Palazzo Doria in
Rom, in der Sammlung Herbert in Kirchbichl, von Guido Reni im Palazzo Corsini in Rom etc.
2 Holland, De Polyphemo et Galateia, Leipziger Studien 7, S. 141 fr.