82
Hans Tietze.
Der Raub der Orithya.
Das Medaillon scheint teilweise hinter dem vorgelagerten Seitenbilde zu verschwinden.
Boreas, ein kräftiger Greis mit mächtigen ausgebreiteten Flügeln, trägt das Mädchen, das sich zitternd an
ihn schmiegt, durch die Lüfte: «pavidamque metu caligine tectus — Orithyian amans fulvis amplectitur alis,» hatte
der Dichter gesungen.1 Tief unter den beiden ist die Ebene mit Häusern und Bäumen zurückgeblieben und auch
der Berg links sinkt schon unter ihnen.
Fig. 23. Annibale Carracci, Der Raub der Europa.
Rom, Palazzo Farncsc. »
Orpheus und Eurydice.
Es ist der Moment dargestellt, in dem Orpheus Plutos Gebot übertritt. Schon hat Merkur, den das Neben-
bild verdeckt, die sich heftig Sträubende erfaßt, um sie in die Unterwelt zurückzuführen. Orpheus, der die Lyra
in der Rechten trägt, ist noch in der verhängnisvollen Umkehrung begriffen; im selben Moment wird er sich des
Geschehenen bewußt und hebt wehklagend die Hand.
Wir brauchen bei dieser stürmisch bewegten, leidenschaftlichen Komposition nur einen Augen-
blick des schönen Reliefs der Villa Albani zu gedenken, um uns der Kluft bewußt zu werden zwischen
dem, was die alte und was die moderne Kunst hier geben wollte. Deshalb konnten auch Auffassung und
Ausdruck nicht entlehnt werden, wohl aber Einzelmotive; in welcher Weise solche verwendet wurden,
zeigt uns gleich das nächste Bild.
Der Raub der Europa (Fig. 23).
Der Stier schwimmt mit hoch erhobenem Haupte durch die Flut und trägt die geraubte Jungfrau, in deren
Kleidern die Brise spielt, auf dem Rücken; sie hält sich mit beiden Händen an den Hörnern des Stieres fest,
während sie angstvoll nach dem Festlande zurückblickt.
1 Ovid, Metam. VII, 694 ff.
Hans Tietze.
Der Raub der Orithya.
Das Medaillon scheint teilweise hinter dem vorgelagerten Seitenbilde zu verschwinden.
Boreas, ein kräftiger Greis mit mächtigen ausgebreiteten Flügeln, trägt das Mädchen, das sich zitternd an
ihn schmiegt, durch die Lüfte: «pavidamque metu caligine tectus — Orithyian amans fulvis amplectitur alis,» hatte
der Dichter gesungen.1 Tief unter den beiden ist die Ebene mit Häusern und Bäumen zurückgeblieben und auch
der Berg links sinkt schon unter ihnen.
Fig. 23. Annibale Carracci, Der Raub der Europa.
Rom, Palazzo Farncsc. »
Orpheus und Eurydice.
Es ist der Moment dargestellt, in dem Orpheus Plutos Gebot übertritt. Schon hat Merkur, den das Neben-
bild verdeckt, die sich heftig Sträubende erfaßt, um sie in die Unterwelt zurückzuführen. Orpheus, der die Lyra
in der Rechten trägt, ist noch in der verhängnisvollen Umkehrung begriffen; im selben Moment wird er sich des
Geschehenen bewußt und hebt wehklagend die Hand.
Wir brauchen bei dieser stürmisch bewegten, leidenschaftlichen Komposition nur einen Augen-
blick des schönen Reliefs der Villa Albani zu gedenken, um uns der Kluft bewußt zu werden zwischen
dem, was die alte und was die moderne Kunst hier geben wollte. Deshalb konnten auch Auffassung und
Ausdruck nicht entlehnt werden, wohl aber Einzelmotive; in welcher Weise solche verwendet wurden,
zeigt uns gleich das nächste Bild.
Der Raub der Europa (Fig. 23).
Der Stier schwimmt mit hoch erhobenem Haupte durch die Flut und trägt die geraubte Jungfrau, in deren
Kleidern die Brise spielt, auf dem Rücken; sie hält sich mit beiden Händen an den Hörnern des Stieres fest,
während sie angstvoll nach dem Festlande zurückblickt.
1 Ovid, Metam. VII, 694 ff.