88
Hans Tietze.
Merkur und Apollo.
In waldiger Landschaft sitzt Apollo in Gestalt eines nackten Hirtenjünglings auf einem Baumstumpfe, über
den er seinen Mantel geworfen hat; vor ihm steht Merkur in ruhiger Haltung mit über die Schulter gehängtem
Mantel; in der Linken hält er den Caduceus, mit der Rechten überreicht er dem Bruder die Lyra. Rechts schließt
sich junger Wald an; links erhebt sich ein antikisierender Rundbau.
Kallisto, in eine Bärin verwandelt.
Diana im Jagdgewand mit einem langen Jagdspeere lehnt an der breiten flachen Schale eines steinernen
Brunnens; neben ihr steht Juno, die mit der Rechten eine Gebärde nach der weiter hinten sichtbaren Bärin macht,
in die Kallisto bereits verwandelt ist. Neben Juno steht ihr Pfau. Die Bärin hinten eilt aus dem Walde hinaus;
über sie hinweg schweift der Blick in
eine tiefe Landschaft.
Minerva verleiht einer
Statue des Prometheus die
Seele.
Prometheus, ein kräftiger bärtiger
Mann, steht im kurzen Arbeitskittel vor
seiner Statue, der er die Rechte auf das
Knie legt; sie stellt einen nackten Jüng-
ling vor, der in bequemer Haltung auf
einem hohen, roh zubehauenen Sockel
sitzt. Prometheus wendet sich über seine
Schulter zu Minerva, die im langen Ge-
wände, mit Helm und Speer hinter ihm
steht und mit der Linken eine gebietende
Geste macht. Links schließen gekuppelte
Säulen den Innenraum ab; den Hinter-
grund bildet eine waldige Landschaft,
in der die Giebelfront eines tempelartigen
Gebäudes sichtbar wird.
An den schmalen Wandstreifen
Fig. 27. Dominichino, Die Jungfrau mit dem Einhorn. zwischen dem letzten Pilaster und der
Rom, Paiazzo Farnese. Stirnwand sind in ovalen Medaillons
die vier Kardinaltugenden als alle-
gorische sitzende Frauengestalten gemalt: Caritas mit zwei Kindern in den Armen, von denen eines
an ihrer Brust liegt, Temperantia mit einem Zaume in der Hand, Fortitudo mit einer Säule und einem
Löwen, Justitia mit Fasces und Wage.
Uber dem Haupteingang befindet sich noch ein Bild, das mit den bis jetzt besprochenen mytholo-
gischen Fresken keinen Zusammenhang hat; es ist die Jungfrau mit dem Einhorn dargestellt (Fig. 27).
Das junge blonde Mädchen, mit einem bläulichgrünen Unterkleide und einem erbsengrünen Obergewande
bekleidet, sitzt mit verträumtem Gesichtsausdrucke unter grünen Bäumen. Es streichelt das schneeweiße Einhorn,
das zutraulich herbeigelaufen ist. Den Mittelgrund des Bildes nimmt eine von Buschwerk durchzogene Ebene
ein; ganz vorn blinkt ein klares Gewässer, an dessen Rande ein hoher reichbelaubter Baum steht. Eine größere
Baumgruppe nimmt auch die Mitte der Komposition ein, dahinter verliert sich die Ebene in die Tiefe und wird
durch kahle Berge abgeschlossen.
Die viel verbreitete Fabel von dem Einhorn, das sich im Schöße einer Jungfrau widerstandslos von
den Jägern fangen läßt, ist hier nicht direkt wegen des ihr innewohnenden symbolischen Gehaltes,
sondern als eine der Impresen der Farnese angebracht. Schon zur Zeit Pauls III. — und vielleicht
noch früher — war das Einhorn eine der Devisen der Familie gewesen;1 in der Dekoration der unter
1 «Unicornius autem in suac familiae symbolum prineipes Farnesiani iam diu elegerunt, ut narrat Spinazius in eorum
historia Ms. apud serenissimum Parmae ducem servata, cui animali apte eruditissimus Praesul Aresius apposuit haec verba:
„expellit et allicit", si quidem animalia expellit venenata, caetera vero allicit.» Siehe Philippus Piccinellus in Mundo symbolico,
L. V, cap. 3, num. 15; Ruscelli, Imprese 155g, p. 40 u. 304.
Hans Tietze.
Merkur und Apollo.
In waldiger Landschaft sitzt Apollo in Gestalt eines nackten Hirtenjünglings auf einem Baumstumpfe, über
den er seinen Mantel geworfen hat; vor ihm steht Merkur in ruhiger Haltung mit über die Schulter gehängtem
Mantel; in der Linken hält er den Caduceus, mit der Rechten überreicht er dem Bruder die Lyra. Rechts schließt
sich junger Wald an; links erhebt sich ein antikisierender Rundbau.
Kallisto, in eine Bärin verwandelt.
Diana im Jagdgewand mit einem langen Jagdspeere lehnt an der breiten flachen Schale eines steinernen
Brunnens; neben ihr steht Juno, die mit der Rechten eine Gebärde nach der weiter hinten sichtbaren Bärin macht,
in die Kallisto bereits verwandelt ist. Neben Juno steht ihr Pfau. Die Bärin hinten eilt aus dem Walde hinaus;
über sie hinweg schweift der Blick in
eine tiefe Landschaft.
Minerva verleiht einer
Statue des Prometheus die
Seele.
Prometheus, ein kräftiger bärtiger
Mann, steht im kurzen Arbeitskittel vor
seiner Statue, der er die Rechte auf das
Knie legt; sie stellt einen nackten Jüng-
ling vor, der in bequemer Haltung auf
einem hohen, roh zubehauenen Sockel
sitzt. Prometheus wendet sich über seine
Schulter zu Minerva, die im langen Ge-
wände, mit Helm und Speer hinter ihm
steht und mit der Linken eine gebietende
Geste macht. Links schließen gekuppelte
Säulen den Innenraum ab; den Hinter-
grund bildet eine waldige Landschaft,
in der die Giebelfront eines tempelartigen
Gebäudes sichtbar wird.
An den schmalen Wandstreifen
Fig. 27. Dominichino, Die Jungfrau mit dem Einhorn. zwischen dem letzten Pilaster und der
Rom, Paiazzo Farnese. Stirnwand sind in ovalen Medaillons
die vier Kardinaltugenden als alle-
gorische sitzende Frauengestalten gemalt: Caritas mit zwei Kindern in den Armen, von denen eines
an ihrer Brust liegt, Temperantia mit einem Zaume in der Hand, Fortitudo mit einer Säule und einem
Löwen, Justitia mit Fasces und Wage.
Uber dem Haupteingang befindet sich noch ein Bild, das mit den bis jetzt besprochenen mytholo-
gischen Fresken keinen Zusammenhang hat; es ist die Jungfrau mit dem Einhorn dargestellt (Fig. 27).
Das junge blonde Mädchen, mit einem bläulichgrünen Unterkleide und einem erbsengrünen Obergewande
bekleidet, sitzt mit verträumtem Gesichtsausdrucke unter grünen Bäumen. Es streichelt das schneeweiße Einhorn,
das zutraulich herbeigelaufen ist. Den Mittelgrund des Bildes nimmt eine von Buschwerk durchzogene Ebene
ein; ganz vorn blinkt ein klares Gewässer, an dessen Rande ein hoher reichbelaubter Baum steht. Eine größere
Baumgruppe nimmt auch die Mitte der Komposition ein, dahinter verliert sich die Ebene in die Tiefe und wird
durch kahle Berge abgeschlossen.
Die viel verbreitete Fabel von dem Einhorn, das sich im Schöße einer Jungfrau widerstandslos von
den Jägern fangen läßt, ist hier nicht direkt wegen des ihr innewohnenden symbolischen Gehaltes,
sondern als eine der Impresen der Farnese angebracht. Schon zur Zeit Pauls III. — und vielleicht
noch früher — war das Einhorn eine der Devisen der Familie gewesen;1 in der Dekoration der unter
1 «Unicornius autem in suac familiae symbolum prineipes Farnesiani iam diu elegerunt, ut narrat Spinazius in eorum
historia Ms. apud serenissimum Parmae ducem servata, cui animali apte eruditissimus Praesul Aresius apposuit haec verba:
„expellit et allicit", si quidem animalia expellit venenata, caetera vero allicit.» Siehe Philippus Piccinellus in Mundo symbolico,
L. V, cap. 3, num. 15; Ruscelli, Imprese 155g, p. 40 u. 304.