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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 26.1906/​1907

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I. Theil: Abhandlungen
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Tietze, Hans: Annibale Carraccis Galerie im Palazzo Farnese und seine römische Werkstätte
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https://doi.org/10.11588/diglit.5946#0114
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io6

Hans Tietze.

die die für die Zeichenweise des älteren Bruders charakteristischen Eigenschaften aufweist. Auf einem
Postament, dessen Vorderseite mit einem cameoartigen Relief mit einem Doppelporträt geschmückt ist,
sitzen zwei Jünglinge mit dem Rücken gegeneinander und stützen mit der vorderen Schulter ein Bau-
glied. Vor dem Postament beugt sich ein Putto, der in jeder Hand ein dekoratives Füllhorn hält, über
ein Relief heraus, auf dem eine antike Opferszene dargestellt zu sein scheint; den untersten Abschluß
bildet ein reicher Fruchtkranz. Rechts ist mit ein paar bunten Strichen ein Landschaftsbild angedeutet.
Diese Zeichnung könnte eine Studie zu einem der dekorativen Zwischenglieder sein, die nach dem ur-
sprünglichen Entwürfe die Teile des Frie-
ses hätten trennen sollen (siehe Fig. 29).
Von Annibales aufs große gerichteter Zei-
chenweise ist diese Studie sehr verschie-
den; hier ist das Hauptgewicht auf die Wie-
dergabe der körperlichen Erscheinung der
Jünglinge gelegt und die Darstellung in
stark plastischem Sinne gegeben. Diese
sorgsame Wiedergabe der Brust- und
Bauchmuskulatur war uns schon früher als
eine der für Agostino charakteristischen
Eigenschaften aufgefallen; dazu treten die
antikisierenden Neigungen, die sich in der
Anbringung der beiden Reliefs äußern;
Bellori hat uns diesen Zug Agostinos über-
liefert und Zeichnungen, die noch zur
Besprechung gelangen sollen, werden ihn
gleichfalls bestätigen. Annibale und Ago-
stino scheinen also am Anfange ihrer ge-
meinsamen Tätigkeit wie einst in den
Bologneser Tagen manche Arbeit geteilt
und gemeinschaftlich ausgeführt zu ha-
ben; auch bei den Einzelbildern der Ga-
lerie finden wir Spuren dieser Koopera-
tion. Später, als das Verhältnis zwischen
den' beiden sich zuzuspitzen begann,
drängt Annibale den Bruder immer mehr zurück, bis es dann im Jahre 1600 zwischen ihnen zum offe-
nen Bruche kam.

Als das allgemeine System fixiert war, betrachtete Annibale seine Vorarbeiten keineswegs als be-
endet; nun wird jeder einzelne Bestandteil für sich entworfen. Diese Sorgfalt bei den Vorbereitungen
nimmt bei Annibale immer mehr zu; der Aufenthalt in Rom mochte ihn über die Mängel seines Zeich-
nens erst aufgeklärt haben; anderseits fühlte er sich vielleicht als bewußter Widerpart der faustfertigen
«Macchinisten», die ungeheure Wandflächen mit den Geschöpfen ihrer Phantasie bedeckten, ohne eine
andere Leitung anzuerkennen als ihre «Idea». Diesen Manieristen gegenüber betont Annibale immer
energischer die Notwendigkeit sorgsamster Naturstudien; bei Dominichino, der unter seinen Schülern
in dieser Hinsicht der eigentliche Fortsetzer seiner Tradition ist, steigert sich diese Tendenz bis zu
einem bedenklichen Ausmaß. Dominichino fertigt zu manchem seiner Bilder vierzig bis fünfzig Zeich-
nungen an, jedes Detail wird für sich, auch mehrmals vorgenommen; Kompositionsskizzen fehlen da-
gegen beinahe völlig. Die Folgen dieser Vorbereitungsweise sind in Dominichinos Bildern leicht wahr-
zunehmen; die korrekt gezeichneten und gewissenhaft studierten Einzelheiten sind so wenig auf
einander gestimmt, daß die Kompositionen zerfallen und zu schablonenhaften Zusammenstellungen
korrekter Bestandteile werden. Er ist so in den Details ein Naturalist, in der Komposition aber völlig

Fig. 36. Agostino Carracci, Studie zu einer Wanddekoration.
Florenz, Uffizien.
 
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