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Hans Tietze.
schon in so früher Zeit Arbeiten durch Schuler ausführen ließ. Denn wenn auch das Hauptbild offiziell
als Werk Massaris angegeben worden sein mag, so galt doch das Bild im Giebel, die Krönung Maria,
. ursprünglich als Werk Annibales
selbst, während es sehr deutlich
die Züge seines Schülers Innocenzo
Tacconi aufweist. Die Komposition
geht genau auf Correggios Fresco
aus S. Giovanni in Parma zurück,
das ja Annibale in früherer Zeit
kopiert hatte; die Ausführung aber
fand schon Mancini viel zu gering
für Annibale selbst.1 Innocenzo
Tacconi nun ist der erste, der
vom Meister zu größeren Arbeiten
herangezogen wurde. Er ist ein
guter Zeichner, mit einem feinen
Sinne für das Landschaftliche be-
gabt und durch seine Härte und die
Vorliebe für gebrochene Töne und
schillernde Farben leicht von den
anderen Mitgliedern der Werkstätte
zu unterscheiden. Auch bei einer
anderen Arbeit, die Annibale gegen
1599 beschäftigt hat, ist Innocenzo
beteiligt, bei der Kapelle der As-
sunta in S. Maria del Popolo. Stif-
ter der Kapelle war Tiberio Cera-
sio, ein hoher Beamter der Kurie,
der die Ausschmückung noch zu sei-
nen Lebzeiten vollendete;2 da er
am 5. Mai 1601 starb, ist wenig-
stens ein terminus ante quem gege-
ben, der übrigens auch durch den
Charakter des von Annibale eigen-
händig ausgeführten Altarbildes
volle Bestätigung erfährt. Noch
tönt in dieser Himmelfahrt Mariä,
die zu den reifsten Schöpfungen des
Meisters gehört (Fig. 52), der corre-
geske Einfluß nach, aber nicht mehr im Kolorit und in der Auffassung sondern nur mehr in Einzelfiguren;
und daß er da besonders kräftig erscheint, ist wie ein Tribut, den Annibale der eigenen Vergangenheit bringt
und mit dem er sich endgültig von ihr losreißt. Denn das Neue überwiegt bei weitem in diesem Bilde
und besonders die Madonna selbst mit dem klaren Blick und dem ganz neuen Typus zeigt, daß die größte
künstlerische Persönlichkeit des damaligen Rom, Caravaggio, nicht ohne Einfluß auf ihn geblieben war.3
1 Mancini, Ragguaglio, Barb. lat. 4315, Vita d'Annibale C: «Ma credo che sempre operasse bene e la coronatione e
fatta in un subb0 e forse di suo disegno, ma non di suo pennello.»
2 Forcella I, 373, Nr. 1439: «ab ipso ante obitum constructo atque exornato».
3 Auch Caravaggio hat sich gelegentlich anerkennend über Annibale geäußert; bei einer gerichtlichen Einvernahme am
i3. September l6o3 führt er Annibale unter den wenigen auf, die er für gute Maler und Kunstverständige halte: Bertolotti,
Artisti Lombardi a Roma nei secoli XV, XVI e XVII, Milano 1881, II, p. 59.
Fig. 52. Annibale Carracci, Himmelfahrt Mariä.
Rom, S. Maria del Popolo.
Hans Tietze.
schon in so früher Zeit Arbeiten durch Schuler ausführen ließ. Denn wenn auch das Hauptbild offiziell
als Werk Massaris angegeben worden sein mag, so galt doch das Bild im Giebel, die Krönung Maria,
. ursprünglich als Werk Annibales
selbst, während es sehr deutlich
die Züge seines Schülers Innocenzo
Tacconi aufweist. Die Komposition
geht genau auf Correggios Fresco
aus S. Giovanni in Parma zurück,
das ja Annibale in früherer Zeit
kopiert hatte; die Ausführung aber
fand schon Mancini viel zu gering
für Annibale selbst.1 Innocenzo
Tacconi nun ist der erste, der
vom Meister zu größeren Arbeiten
herangezogen wurde. Er ist ein
guter Zeichner, mit einem feinen
Sinne für das Landschaftliche be-
gabt und durch seine Härte und die
Vorliebe für gebrochene Töne und
schillernde Farben leicht von den
anderen Mitgliedern der Werkstätte
zu unterscheiden. Auch bei einer
anderen Arbeit, die Annibale gegen
1599 beschäftigt hat, ist Innocenzo
beteiligt, bei der Kapelle der As-
sunta in S. Maria del Popolo. Stif-
ter der Kapelle war Tiberio Cera-
sio, ein hoher Beamter der Kurie,
der die Ausschmückung noch zu sei-
nen Lebzeiten vollendete;2 da er
am 5. Mai 1601 starb, ist wenig-
stens ein terminus ante quem gege-
ben, der übrigens auch durch den
Charakter des von Annibale eigen-
händig ausgeführten Altarbildes
volle Bestätigung erfährt. Noch
tönt in dieser Himmelfahrt Mariä,
die zu den reifsten Schöpfungen des
Meisters gehört (Fig. 52), der corre-
geske Einfluß nach, aber nicht mehr im Kolorit und in der Auffassung sondern nur mehr in Einzelfiguren;
und daß er da besonders kräftig erscheint, ist wie ein Tribut, den Annibale der eigenen Vergangenheit bringt
und mit dem er sich endgültig von ihr losreißt. Denn das Neue überwiegt bei weitem in diesem Bilde
und besonders die Madonna selbst mit dem klaren Blick und dem ganz neuen Typus zeigt, daß die größte
künstlerische Persönlichkeit des damaligen Rom, Caravaggio, nicht ohne Einfluß auf ihn geblieben war.3
1 Mancini, Ragguaglio, Barb. lat. 4315, Vita d'Annibale C: «Ma credo che sempre operasse bene e la coronatione e
fatta in un subb0 e forse di suo disegno, ma non di suo pennello.»
2 Forcella I, 373, Nr. 1439: «ab ipso ante obitum constructo atque exornato».
3 Auch Caravaggio hat sich gelegentlich anerkennend über Annibale geäußert; bei einer gerichtlichen Einvernahme am
i3. September l6o3 führt er Annibale unter den wenigen auf, die er für gute Maler und Kunstverständige halte: Bertolotti,
Artisti Lombardi a Roma nei secoli XV, XVI e XVII, Milano 1881, II, p. 59.
Fig. 52. Annibale Carracci, Himmelfahrt Mariä.
Rom, S. Maria del Popolo.