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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 26.1906/​1907

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I. Theil: Abhandlungen
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Suida, Wilhelm: Die Spätwerke des Bartolommeo Suardi, genannt Bramantino
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https://doi.org/10.11588/diglit.5946#0330
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Die Spätwerke des Bartolommeo Suardi, genannt Bramamino.

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rakterisieren, bedarf der Meister keiner konvulsivischen Verzerrung der einen Gestalt, keiner kleinen
Seelen, die von Engeln oder Höllendämonen in Empfang genommen werden. Helles Licht verklärt die
friedensvollen Züge des Einen, indes des Anderen Angesicht, von krausem Barte umrahmt, im Dunkel
verhüllt bleibt. In den zu Füßen der Kreuze stehenden Gestalten prägt sich das Mitleid in verschie-
denen Formen aus. Maria, vom Schmerze ganz überwältigt, wird von Johannes gestützt, der die erste
Sohnespflicht der Gottesmutter lei-
stet. Magdalena umfängt den Kreu-
zesstamm, als wollte sie Christum
selbst mit ihrem Lebensodem wie-
der erwärmen. Einen voll stau-
nender Ergriffenheit aufblickenden
Mann dürfen wir trotz des Fehlens
aller Attribute vielleicht Longinus
nennen. Ein junger und ein alter
Mann im Vordergrunde rechts fallen
sodann besonders auf. Ein erneuter
Ausbruch ihres Schmerzes hat ihr
Gespräch unterbrochen. Schwei-
gend sinnen sie dem unergründli-
chen furchtbaren Geheimnisse die-
ses Sterbens nach. Von den Seiten
her, von rechts und links heften
sich tiefe Blicke auf uns. Da schauen
wir hier in das Antlitz eines be-
kümmerten Mannes, dort in das trä-
nenumflorte Auge eines Mädchens,
deren zarte, feine Erscheinung zu
den schönsten Gestalten Braman-
tinos gehört. Durch diese beiden
Personen spricht der Künstler ge-
wissermaßen direkt mit dem Be-
schauer und führt ihn in die see-
lische Stimmung des Werkes ein.

Da von einer historischen Schilderung der Kreuzigung bei Bramantino nicht zu sprechen ist be-
gegnen wir auch keinerlei Trachten. Alle Figuren sind mit ungeheuer weiten Idealgewändern bekleidet
Sehen wir nun noch eine der Gestalten den über Arm und Hand geschlagenen Mantel zum Trocknen
der Tränen ans Auge führen (ein Motiv, das ebenso schon in der Münchener Pietä vorkam), so werden
wir zu der wohl sicheren Annahme geführt, daß die feierlichen Repräsentationsszenen der byzantinischen
Kunst unseren Meister wahlverwandt berührt haben. Keinerlei Entlehnung in den Details, wohl aber
eine analoge Gesamtstimmung läßt sich wahrnehmen. Und wir gehen gewiß nicht fehl in der Annahme
daß Bramantino in dem Streben, s.ch der antiken Auffassung (im Sinne der Renaissance) zu nähern, zur
intensiveren Betrachtung der byzantinischen Kunst geführt wurde.

Die Farben des Kreuzigungsbildes sind von einer beinahe gesuchten Einfachheit. Die beiden im
Vordergrunde stehenden Figurenpaare sind in gelbbraune und olivegrüne Gewänder gekleidet. Der
letztere Ton geht auch in die Landschaft über und gibt dem ganzen Bilde die entscheidende koloristische
Note. Das konnten wir ähnlich schon an dem Johannes auf Patmos wahrnehmen. Wie dort so herrscht
auch in dem Kreuzigungsbilde Abendstimmung in der Landschaft und am Firmament, das sich nach
oben hin verdunkelt und von dem die helleren nackten Körper sich abheben. Ein Dunkelblau in den
Gewändern Mariä und der Magdalena wird durch den Oliveton nach dem Stahlblau abgetönt, nur ein

Fig. 21. Bernardino de' Conti, Kardinalsbildnis.
Berlin, Kaiser Friedrich-Museum.
 
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