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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 26.1906/​1907

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I. Theil: Abhandlungen
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Suida, Wilhelm: Die Spätwerke des Bartolommeo Suardi, genannt Bramantino
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https://doi.org/10.11588/diglit.5946#0366
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Die Spätwerke des Bartolommeo Suardi, genannt Bramantino.

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oder aus der Einbildungskraft schöpft. Dieser Art folgen mehr Maler als der ersten, die dennoch für
tüchtig gelten, weil sie viel Mühe darauf verwenden, in Details aufs genaueste die Natur nachzuahmen,
und danach machen sie ihre Phantasieschöpfungen. Aber in ihren Werken findet man grobe Irrtümer,
welche diejenigen nicht begehen, die den Gesetzen des Sehens und der künstlerischen Darstellung nach-
geforscht haben.

Kap. XXIV. Dritte Art der Perspekt ive nach Bramantino. Die dritte Art bedient sich eines
Fadennetzes oder statt dessen eines
Schleiers, der zwischen dem Auge
und dem Gegenstande gespannt
wird. Und da, wo die Sehstrahlen
den Schleier treffen, zieht man Um-
risse und Linien auf demselben,
wobei sich alles in Ruhe befinden
muß. Denn wenn einer der Teile
sich bewegen würde (Maler oder
Gegenstand), wäre alles falsch, was
schon gezeichnet ist, wenn nicht
die ursprüngliche Lage wiederher-
gestellt würde. Und mit dem Fa-
dennetze kann man den Gegen-
stand größer oder kleiner darstel-
len, je nachdem man das Netz dem
Gegenstande nähert, wobei man
eventuell mit einer an einem Stocke
befestigten Kreide zeichnet. Und
wenn dies auch schwierig ist, so ist
es doch vorzüglich zum Porträtie-
ren, weil dann die fraglichen Dinge
aufs deutlichste wahrnehmbar sind.
Mit diesem Netze kann man auch,
wenn die Offnungen einmal oder
sechsmal oder zehnmal so breit als
hoch sind, jene Phantasien herstel-
len, von denen im nächsten Buche
die Rede sein wird.»

So wertvoll es uns auch ist,
durch Lomazzo einiges aus Bra-
mantinos Aufzeichnungen über
kunsttheoretische Gegenstände auf-
bewahrt zu haben, so wenig er-
laubt doch die ziemlich allgemeine Fassung dieser Stellen ein abschließendes Urteil über Bramantinos
Bedeutung als Kunsttheoretiker. Es entspricht völlig dem von ihm angewendeten Verfahren, wenn er der
sicheren, auf Messung und Berechnung beruhenden Methode der perspektivischen Konstruktion die
erste Stelle anweist. All seine Gemälde ließen in einem bisweilen fast übertriebenen Grade das theore-
tische Gerüste ihres Aufbaues erkennen. Mit Geringschätzung weist Suardi die nur auf vager Be-
obachtung beruhende Art des Komponierens von sich. Einen gewissen, wenn auch beschränkten Wert
erkennt er der Methode des Nachzeichnens durch das Fadennetz zu. L. B. Alberti hatte dessen Verwen-
dung zuerst den Malern empfohlen. Als Probe für die Richtigkeit der Konstruktionen hat es seinen
Wert, als einziges Fundament darf es indes gewiß nicht gelten.

Fig. 52-

Bernardino de" Fazoli, Sebastiansaltar.
Santuario del Monte bei Genua.
 
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