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Wilhelm Suida.
Wir können wohl annehmen, daß in Bramantinos Aufzeichnungen auch Bemerkungen über jene
Probleme der malerischen Ausführung enthalten waren, die den Meister dauernd beschäftigten, be-
sonders in seinen späteren Jahren, und über die auch Leonardo eingehend spricht. Davon aber so-
wie von den wertvollen Traktaten Foppas und Zenales ist uns nichts erhalten geblieben — oder es
schlummert unerkannt noch in dem Schöße von Bibliotheken.
IV. Über die Einwirkung Bramantinos auf die lombardische Malerei.
Die große Bedeutung Bramantinos für die lombardische Malerei liegt nur teilweise in den positiven
Anregungen begründet, die er als Künstler und Lehrer gab. Sie ist vor allem auch ein Ergebnis seines
Charakters, seiner Persönlichkeit.
Denn dieser Künstler, der sich so
genau Rechenschaft über alles gab,
was er schuf, der so konsequent
seine Probleme verfolgte, bis er die
jeweils ihm entsprechende Lösung
gefunden hatte, ist durch keinen
äußeren Einfluß aus dem Geleise
seiner Individualität herausgebracht
worden. In einer Zeit, wo ältere
Künstler, wie der Meister der Pala
Sforzesca, in eine ganz platte Nach-
ahmung Leonardos verfielen, wo
die jüngeren Talente alle mit mehr
oder weniger Geschick mit einem
Abglanz von dem Zauber des Flo-
rentiners ihre Werke auszustaffieren
sich bestrebten, blieb Bartolommeo
Suardi ganz er selbst. Noch viel
merkwürdiger aber ist es, daß er,
der manchen seiner Zeitgenossen
als ein einsamer Sonderling erschien,
dem Geheimnisse der Kunst Leo-
nardos nachsann und nachforschte,
daß er, wenn irgend ein Mailänder,
aus den Lehren des großen Mei-
sters, wie wir sie aus dem Traktate
kennen, Nutzen zog. So blieb er einerseits der heimischen Art treu, andererseits bereicherte er deren
quattrocentistisch beschränktes Ausdrucksvermögen. Er gab seinen Zeitgenossen und Schülern das Beispiel,
daß künstlerischer Fortschritt nicht zugleich auch Entfremdung von der alten nationalen Eigenart be-
deute. Auf Bartolommeo Suardi haben die späteren lombardischen und piemontesischen Künstler als
ihren Vorläufer zurückgegriffen und damit bekannt, was sie ihm verdankten.
Dem Einflüsse von Bramantinos Kunst bis in alle Details nachzugehen, würde uns hier zu weit führen.
Wir werden uns daher auf einzelne Beobachtungen beschränken und zunächst einige Werke betrachten,
deren Ausführung zwar dem Meister nicht angehört, denen aber gewiß Entwürfe seiner Hand zugrunde
liegen.
i. Malereien aus Bramantinos Werkstatt.
Mit der Sammlung Sipriot kam vor einigen Jahren in die Brera ein Gemälde, das auf schwarzem
Grunde in starker Verkürzung den Leichnam Christi zeigt. Ist im Motiv und Typus die engste Be-
Fig. 53. Bernardino Luini, Die Geburt des Adonis, Fresko aus der Villa Pelucca.
.Mailand, Brera.
Wilhelm Suida.
Wir können wohl annehmen, daß in Bramantinos Aufzeichnungen auch Bemerkungen über jene
Probleme der malerischen Ausführung enthalten waren, die den Meister dauernd beschäftigten, be-
sonders in seinen späteren Jahren, und über die auch Leonardo eingehend spricht. Davon aber so-
wie von den wertvollen Traktaten Foppas und Zenales ist uns nichts erhalten geblieben — oder es
schlummert unerkannt noch in dem Schöße von Bibliotheken.
IV. Über die Einwirkung Bramantinos auf die lombardische Malerei.
Die große Bedeutung Bramantinos für die lombardische Malerei liegt nur teilweise in den positiven
Anregungen begründet, die er als Künstler und Lehrer gab. Sie ist vor allem auch ein Ergebnis seines
Charakters, seiner Persönlichkeit.
Denn dieser Künstler, der sich so
genau Rechenschaft über alles gab,
was er schuf, der so konsequent
seine Probleme verfolgte, bis er die
jeweils ihm entsprechende Lösung
gefunden hatte, ist durch keinen
äußeren Einfluß aus dem Geleise
seiner Individualität herausgebracht
worden. In einer Zeit, wo ältere
Künstler, wie der Meister der Pala
Sforzesca, in eine ganz platte Nach-
ahmung Leonardos verfielen, wo
die jüngeren Talente alle mit mehr
oder weniger Geschick mit einem
Abglanz von dem Zauber des Flo-
rentiners ihre Werke auszustaffieren
sich bestrebten, blieb Bartolommeo
Suardi ganz er selbst. Noch viel
merkwürdiger aber ist es, daß er,
der manchen seiner Zeitgenossen
als ein einsamer Sonderling erschien,
dem Geheimnisse der Kunst Leo-
nardos nachsann und nachforschte,
daß er, wenn irgend ein Mailänder,
aus den Lehren des großen Mei-
sters, wie wir sie aus dem Traktate
kennen, Nutzen zog. So blieb er einerseits der heimischen Art treu, andererseits bereicherte er deren
quattrocentistisch beschränktes Ausdrucksvermögen. Er gab seinen Zeitgenossen und Schülern das Beispiel,
daß künstlerischer Fortschritt nicht zugleich auch Entfremdung von der alten nationalen Eigenart be-
deute. Auf Bartolommeo Suardi haben die späteren lombardischen und piemontesischen Künstler als
ihren Vorläufer zurückgegriffen und damit bekannt, was sie ihm verdankten.
Dem Einflüsse von Bramantinos Kunst bis in alle Details nachzugehen, würde uns hier zu weit führen.
Wir werden uns daher auf einzelne Beobachtungen beschränken und zunächst einige Werke betrachten,
deren Ausführung zwar dem Meister nicht angehört, denen aber gewiß Entwürfe seiner Hand zugrunde
liegen.
i. Malereien aus Bramantinos Werkstatt.
Mit der Sammlung Sipriot kam vor einigen Jahren in die Brera ein Gemälde, das auf schwarzem
Grunde in starker Verkürzung den Leichnam Christi zeigt. Ist im Motiv und Typus die engste Be-
Fig. 53. Bernardino Luini, Die Geburt des Adonis, Fresko aus der Villa Pelucca.
.Mailand, Brera.