Die Spätwerke des Bartolommeo Suardi, genannt Bramantino.
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ziehung zu Suardis Kunst vorhanden, und zwar speziell zur Münchener Pietä und dem Haupte
Johannis, also zu Werken, die 1512—1513 entstanden, so lehrt eine genaue Betrachtung doch, daß an
eine Ausführung durch seine Hand nicht zu denken ist. In der Karnation fehlt die zarte Feinheit der Licht-
behandlung, die Schatten sind schwerer, die beigefügten Blutspuren entsprechen einem fast aufdring-
lichen Naturalismus, der bei Bramantino nicht zu finden ist. Auch die in dicken Strähnen herabhän-
genden Haare (jetzt ziemlich stark verrieben) sowie der schmale Goldnimbus um das Haupt erinnern
mehr an Künstler, die in der älteren Kunstübung befangen waren, als an die eigenartige, geistreiche Be-
handlungsweise Suardis.
Ein Werk, für dessen Mittelgruppe
wenigstens gewiß ein Entwurf Braman-
tinos benützt wurde, ist die Heimsuchung
Maria in der Galerie Wesendonk in Ber-
lin (Fig. 35). Das Bild, das angeblich aus
der Kirche S. Jacopo bei Porta Lucia in
Genua stammt, dann in den Sammlungen
Solly und Wynn-Ellis in London war,1
zeigt in seinen tiefen, leuchtenden Farben
die Malweise eines jüngeren Lombarden
der seinem Naturell nach von Suardi sehr
verschieden ist. Die männlichen Typen
haben auch wenig mit ihm gemein, wo-
gegen die Figuren der Maria und Elisa-
beth vollständig den auf dem Michaels-
altare, der Münchener Pietä und der Am-
brosianazeichnung vorkommenden Typen
gleichen. Wer der Autor des Bildes sei,
mag einstweilen dahingestellt bleiben;
F. Harck hat durch den Hinweis auf Gau-
denzio schon den richtigen Schulzusam-
menhang erkannt, wenn auch Gaudenzio
selbst nicht in Betracht kommen kann.
Zwei ganz ruinierte Fresken in Mai-
land haben mich noch besonders an Bra-
mantino erinnert. Das eine befindet sich
außen an dem Hause Via Stella 9 und stellt
die Madonna auf dem Throne dar, neben
der das nackte Christkind steht. Beide
wenden sich dem Stifter, einem knieenden
und ehrerbietig das Haupt senkenden Kardinal, zu, links steht der heil. Paulus. Auch die geradlinigen
Architekturen weisen auf einen Künstler aus der Nähe Bramantinos (Fig. 36).
Von ähnlicher Art ist auch die hübsche Ruine eines Freskos, das jetzt seine Stelle über dem sechs-
ten Altare rechts in S. Maria della Passione in Mailand hat: Die Madonna erscheint einer knienden Frau
und überreicht dieser eine Lilie. Der traurige Zustand dieser beiden Fresken verbietet, näher auf sie
einzugehen.
Von großem Interesse für die Kenntnis der Verbreitung von Bramantinos Kunst ist ein Fresko,
das sich über dem ersten Altare links in der Hauptkirche von Vimercate bei Mailand befindet und das
Christus als Schmerzensmann mit dem Kreuze und den Symbolen der Passion darstellt (Fig. 37). Die
Fig. 54. Bernardino Luini, Freskobruchstück aus der Villa Pelucca.
Mailand, Brera.
1 Auf Holz gemalt, 2'IOm hoch, 1*64 m breit.
XXVI.
(6
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ziehung zu Suardis Kunst vorhanden, und zwar speziell zur Münchener Pietä und dem Haupte
Johannis, also zu Werken, die 1512—1513 entstanden, so lehrt eine genaue Betrachtung doch, daß an
eine Ausführung durch seine Hand nicht zu denken ist. In der Karnation fehlt die zarte Feinheit der Licht-
behandlung, die Schatten sind schwerer, die beigefügten Blutspuren entsprechen einem fast aufdring-
lichen Naturalismus, der bei Bramantino nicht zu finden ist. Auch die in dicken Strähnen herabhän-
genden Haare (jetzt ziemlich stark verrieben) sowie der schmale Goldnimbus um das Haupt erinnern
mehr an Künstler, die in der älteren Kunstübung befangen waren, als an die eigenartige, geistreiche Be-
handlungsweise Suardis.
Ein Werk, für dessen Mittelgruppe
wenigstens gewiß ein Entwurf Braman-
tinos benützt wurde, ist die Heimsuchung
Maria in der Galerie Wesendonk in Ber-
lin (Fig. 35). Das Bild, das angeblich aus
der Kirche S. Jacopo bei Porta Lucia in
Genua stammt, dann in den Sammlungen
Solly und Wynn-Ellis in London war,1
zeigt in seinen tiefen, leuchtenden Farben
die Malweise eines jüngeren Lombarden
der seinem Naturell nach von Suardi sehr
verschieden ist. Die männlichen Typen
haben auch wenig mit ihm gemein, wo-
gegen die Figuren der Maria und Elisa-
beth vollständig den auf dem Michaels-
altare, der Münchener Pietä und der Am-
brosianazeichnung vorkommenden Typen
gleichen. Wer der Autor des Bildes sei,
mag einstweilen dahingestellt bleiben;
F. Harck hat durch den Hinweis auf Gau-
denzio schon den richtigen Schulzusam-
menhang erkannt, wenn auch Gaudenzio
selbst nicht in Betracht kommen kann.
Zwei ganz ruinierte Fresken in Mai-
land haben mich noch besonders an Bra-
mantino erinnert. Das eine befindet sich
außen an dem Hause Via Stella 9 und stellt
die Madonna auf dem Throne dar, neben
der das nackte Christkind steht. Beide
wenden sich dem Stifter, einem knieenden
und ehrerbietig das Haupt senkenden Kardinal, zu, links steht der heil. Paulus. Auch die geradlinigen
Architekturen weisen auf einen Künstler aus der Nähe Bramantinos (Fig. 36).
Von ähnlicher Art ist auch die hübsche Ruine eines Freskos, das jetzt seine Stelle über dem sechs-
ten Altare rechts in S. Maria della Passione in Mailand hat: Die Madonna erscheint einer knienden Frau
und überreicht dieser eine Lilie. Der traurige Zustand dieser beiden Fresken verbietet, näher auf sie
einzugehen.
Von großem Interesse für die Kenntnis der Verbreitung von Bramantinos Kunst ist ein Fresko,
das sich über dem ersten Altare links in der Hauptkirche von Vimercate bei Mailand befindet und das
Christus als Schmerzensmann mit dem Kreuze und den Symbolen der Passion darstellt (Fig. 37). Die
Fig. 54. Bernardino Luini, Freskobruchstück aus der Villa Pelucca.
Mailand, Brera.
1 Auf Holz gemalt, 2'IOm hoch, 1*64 m breit.
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