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Wilhelm Suida.
Gestalt des Erlösers mit der an die Wunde gelegten Rechten und der linken Hand, die das außerordent-
lich massive, von dem Beschauer in perspektivischer Verkürzung gesehene Kreuz hält, erweist sich als
deutlich im Zusammenhange stehend mit Bramantinos früher Zeichnung in der Albertina (vgl. «Jugend-
werke», Tafel IV). Die Ausführung des Freskobildes dürfte etwas später fallen, vielleicht aber noch in
das erste Jahrzehnt des Cinquecento, und gehört einem dem jungen Luini nahestehenden Künstler an,
der aus Bramantinos Atelier hervorging. Als Beispiel der älteren Auffassung des Schmerzensmannes zwi-
schen Engeln diene das schöne Fresko des Ambrogio Bergognone in S. Ambrogio in Mailand (Fig. 38).
Bei A. Cantoni sah ich 1905 zwei kleine Bildchen, die dem Bramantino zugeschrieben wurden und
in der Tat nahe Beziehung zu dessen Stil aufwiesen, wenn sie auch keineswegs von dessen eigener Hand
ausgeführt waren. Auf denselben war die Mannalese und die Auferweckung des Lazarus dargestellt.
Besonders das erste der beiden Bild-
chen wies deutliche Beziehung zu
den Figuren der Arazzi des Palazzo
Trivulzi auf. Man müßte also auch
hier wieder an einen Künstler den-
ken, der in den ersten Jahren des
Cinquecento bei Bramantino stu-
diert hat.
Ein Fresko, das mir immer
Beziehung zu Bramantino zu haben
schien, das ich aber wegen schlech-
ter Beleuchtung und bedeutender
Höhe nie ordentlich sehen konnte,
befindet sich in dem weltberühm-
ten Refektorium von S. Maria delle
Grazie. Es ist eine Grisaillemalerei
in der Lünette rechts über der
Kreuzigung des Montorfano, hoch
oben über dem Eingange.
Endlich sei noch einer Zeich-
„. „„ D ,. , . . „ . , . ... , , D , nune Erwähnung getan, die vor
Fig. 55. Bernardino Luim, r reskobruchstuck aus der Villa Pelucca. 0 001
Mailand, Brera. wenigen Jahren vom British Mu-
seum erworben wurde und deren
Kenntnis mir durch eine von Mr. Sidney Colvin freundlichst übersandte Photographie vermittelt wurde
(Fig. 39). Vor der Grabeshöhle sehen wir den von fünf heiligen Personen auf dem Sarkophag sitzend
gehaltenen Leichnam des Erlösers. Die Formengebung steht allerdings den Jugendwerken Suardis —
als solches gilt die Zeichnung — außerordentlich nahe. Immerhin drängt sich mir die Frage auf, ob
wir nicht statt einer Arbeit Suardis aus der Zeit des Philemon- und Baucisbildes in Köln vielmehr das
Werk eines unter Bramantinos Einfluß stehenden zeitgenössischen Miniaturmalers vor uns haben könn-
ten. Daß diese dunkelgrün monochromatisch mit großer Feinheit ausgeführte Pinselmalerei völlig den
Charakter einer Miniatur habe, teilt mir auch Mr. Colvin mit.
Einen merkwürdigen Nachklang von Bramantes Malweise finden wir in einem kleinen Bilde des
germanischen Museums in Nürnberg, auf dem ein oberdeutscher Maler um 1500 zwei Köpfe als Remi-
niszenzen seiner Wanderschaft in der Lombardei festgehalten hat. Der jugendliche Kopf rechts mit
dem reichen Lockenschwall ist eine Variante eines Bramanteschen Freskobildes aus Casa Panigarola
Prinetti (heute Brera). Der Alte links (offenbar sind Petrus und Johannes dargestellt) dürfte eher einem
Bilde des sogenannten Pseudoboccaccino entlehnt sein (Fig. 40).
Seiner allerdings irrigen Beziehung auf Bramantino wegen mag auch ein interessantes altlombar-
disches Temperabild auf Leinwand aus der Sammlung des Herrn Eugen von Miller zu Aichholz in Wien
Wilhelm Suida.
Gestalt des Erlösers mit der an die Wunde gelegten Rechten und der linken Hand, die das außerordent-
lich massive, von dem Beschauer in perspektivischer Verkürzung gesehene Kreuz hält, erweist sich als
deutlich im Zusammenhange stehend mit Bramantinos früher Zeichnung in der Albertina (vgl. «Jugend-
werke», Tafel IV). Die Ausführung des Freskobildes dürfte etwas später fallen, vielleicht aber noch in
das erste Jahrzehnt des Cinquecento, und gehört einem dem jungen Luini nahestehenden Künstler an,
der aus Bramantinos Atelier hervorging. Als Beispiel der älteren Auffassung des Schmerzensmannes zwi-
schen Engeln diene das schöne Fresko des Ambrogio Bergognone in S. Ambrogio in Mailand (Fig. 38).
Bei A. Cantoni sah ich 1905 zwei kleine Bildchen, die dem Bramantino zugeschrieben wurden und
in der Tat nahe Beziehung zu dessen Stil aufwiesen, wenn sie auch keineswegs von dessen eigener Hand
ausgeführt waren. Auf denselben war die Mannalese und die Auferweckung des Lazarus dargestellt.
Besonders das erste der beiden Bild-
chen wies deutliche Beziehung zu
den Figuren der Arazzi des Palazzo
Trivulzi auf. Man müßte also auch
hier wieder an einen Künstler den-
ken, der in den ersten Jahren des
Cinquecento bei Bramantino stu-
diert hat.
Ein Fresko, das mir immer
Beziehung zu Bramantino zu haben
schien, das ich aber wegen schlech-
ter Beleuchtung und bedeutender
Höhe nie ordentlich sehen konnte,
befindet sich in dem weltberühm-
ten Refektorium von S. Maria delle
Grazie. Es ist eine Grisaillemalerei
in der Lünette rechts über der
Kreuzigung des Montorfano, hoch
oben über dem Eingange.
Endlich sei noch einer Zeich-
„. „„ D ,. , . . „ . , . ... , , D , nune Erwähnung getan, die vor
Fig. 55. Bernardino Luim, r reskobruchstuck aus der Villa Pelucca. 0 001
Mailand, Brera. wenigen Jahren vom British Mu-
seum erworben wurde und deren
Kenntnis mir durch eine von Mr. Sidney Colvin freundlichst übersandte Photographie vermittelt wurde
(Fig. 39). Vor der Grabeshöhle sehen wir den von fünf heiligen Personen auf dem Sarkophag sitzend
gehaltenen Leichnam des Erlösers. Die Formengebung steht allerdings den Jugendwerken Suardis —
als solches gilt die Zeichnung — außerordentlich nahe. Immerhin drängt sich mir die Frage auf, ob
wir nicht statt einer Arbeit Suardis aus der Zeit des Philemon- und Baucisbildes in Köln vielmehr das
Werk eines unter Bramantinos Einfluß stehenden zeitgenössischen Miniaturmalers vor uns haben könn-
ten. Daß diese dunkelgrün monochromatisch mit großer Feinheit ausgeführte Pinselmalerei völlig den
Charakter einer Miniatur habe, teilt mir auch Mr. Colvin mit.
Einen merkwürdigen Nachklang von Bramantes Malweise finden wir in einem kleinen Bilde des
germanischen Museums in Nürnberg, auf dem ein oberdeutscher Maler um 1500 zwei Köpfe als Remi-
niszenzen seiner Wanderschaft in der Lombardei festgehalten hat. Der jugendliche Kopf rechts mit
dem reichen Lockenschwall ist eine Variante eines Bramanteschen Freskobildes aus Casa Panigarola
Prinetti (heute Brera). Der Alte links (offenbar sind Petrus und Johannes dargestellt) dürfte eher einem
Bilde des sogenannten Pseudoboccaccino entlehnt sein (Fig. 40).
Seiner allerdings irrigen Beziehung auf Bramantino wegen mag auch ein interessantes altlombar-
disches Temperabild auf Leinwand aus der Sammlung des Herrn Eugen von Miller zu Aichholz in Wien