Die Spätwerke des Bartolommeo Suardi, genannt Bramantino.
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hierher.1 Ja wir gewinnen ein vollständig in sich abgeschlossenes Bild einer Künstlerindividualität und
vielleicht auch den Hinweis auf den richtigen Namen, wenn wir die Fresken der vierten Kapelle rechts
in S. Maria degli Angeli in Lugano betrachten, deren Zusammengehörigkeit mit den genannten Werken
sehr deutlich ist.
Seitdem im Jahre 1891 die Fresken der Capella Camuzio von der Tünche befreit worden sind,
haben sie die Aufmerksamkeit der Forscher vielfach auf sich gezogen. Die kompetentesten derselben,
J. R. Rahn2 und Luca Beltrami3 haben die Beziehung zu Bramantinos Kunst erkannt und betont, ja Bel-
trami möchte sogar die Erfindung und
Leitung der Arbeit dem Meister selbst
geben, der dann bei der Ausführung von
Gehilfen unterstützt worden sei. Emilio
Mottas unermüdliche Nachforschungen in
Archiven haben die Beteiligung dreier
Künstler aus Lugano an der Ausführung
ziemlich sicher ergeben: des Giov. Ant. Co-
doli de Lencho, des Bartolommeo Rizzo
und des Gio. da Lomazzo, deren Tätig-
keit für die Kirche in den Jahren 1523—
1528 bezeugt ist. Nach 1520 aber, dem
Todesjahre des Arztes Lodovico Camuzio,
zu dessen Gedächtnisse sein Sohn Fran-
cesco wahrscheinlich die Kapelle aus-
schmückte, müssen die in Rede stehenden
Fresken gemalt sein. Die Kapelle, ein Bau
des XV. Jahrhunderts, besteht aus einem
quadratischen Räume mit polygonaler
Apsis. An den Längswänden sehen wir,
durch später eingebrochene Offnungen arg
beschädigt, vier Szenen aus der Jugend-
geschichte Christi: die Anbetung der Kö-
nige, die Flucht nach Ägypten, die Darstel-
lung im Tempel (Fig. 45) und den zwölf-
jährigen Christus zwischen den Schrift-
gelehrten. Sogleich fällt uns auf, daß
die Flucht nach Ägypten eine ganz ge-
treue, nur etwas plumpe und unbeholfene
Kopie nach dem Bilde des Bramantino in
Locarno ist. Auch die Säulenhalle mit ge-
radem Gebälk auf der Darstellung im
Tempel erinnert genau an die Architekturen, die wir auf den Spätwerken Suardis kennen lernten.
Über diesen Szenen hat der Künstler ein Gesimse und einen Fries gemalt, in dem wir den verschie-
denartigsten Emblemen begegnen. In den Lünetten, die zum spitzbogigen Gewölbe überleiten, sehen
wir die Vermählung Maria und Gruppen musizierender Putten dargestellt, die uns wieder an Braman-
tino erinnern, ohne aber doch seine persönliche Eigenart ganz unzweideutig zu bekunden. Einzel-
gestalten zwischen den Rippen des Gewölbes und an der dem Kirchenschiffe zugekehrten Wand der
Kg. 58-
Bernardino Luini, Die Begegnung an der goldenen Pforte,
Fresko aus S. Maria della Pace.
Mailand, Brera.
1 «L'Arte» V, 1902, p. 166. Dargestellt ist ein jugendlicher Heiliger.
2 «Anzeiger für schweizerische Altertumskunde« 1892.
3 «Estratto del Bollettino storico della Svizzera Italiana» igo3 (Bellinzona). Beltrami gibt hier auch eine genaue Be-
schreibung aller Einzelheiten, von deren Wiederholung ich daher Abstand nehmen durfte.
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hierher.1 Ja wir gewinnen ein vollständig in sich abgeschlossenes Bild einer Künstlerindividualität und
vielleicht auch den Hinweis auf den richtigen Namen, wenn wir die Fresken der vierten Kapelle rechts
in S. Maria degli Angeli in Lugano betrachten, deren Zusammengehörigkeit mit den genannten Werken
sehr deutlich ist.
Seitdem im Jahre 1891 die Fresken der Capella Camuzio von der Tünche befreit worden sind,
haben sie die Aufmerksamkeit der Forscher vielfach auf sich gezogen. Die kompetentesten derselben,
J. R. Rahn2 und Luca Beltrami3 haben die Beziehung zu Bramantinos Kunst erkannt und betont, ja Bel-
trami möchte sogar die Erfindung und
Leitung der Arbeit dem Meister selbst
geben, der dann bei der Ausführung von
Gehilfen unterstützt worden sei. Emilio
Mottas unermüdliche Nachforschungen in
Archiven haben die Beteiligung dreier
Künstler aus Lugano an der Ausführung
ziemlich sicher ergeben: des Giov. Ant. Co-
doli de Lencho, des Bartolommeo Rizzo
und des Gio. da Lomazzo, deren Tätig-
keit für die Kirche in den Jahren 1523—
1528 bezeugt ist. Nach 1520 aber, dem
Todesjahre des Arztes Lodovico Camuzio,
zu dessen Gedächtnisse sein Sohn Fran-
cesco wahrscheinlich die Kapelle aus-
schmückte, müssen die in Rede stehenden
Fresken gemalt sein. Die Kapelle, ein Bau
des XV. Jahrhunderts, besteht aus einem
quadratischen Räume mit polygonaler
Apsis. An den Längswänden sehen wir,
durch später eingebrochene Offnungen arg
beschädigt, vier Szenen aus der Jugend-
geschichte Christi: die Anbetung der Kö-
nige, die Flucht nach Ägypten, die Darstel-
lung im Tempel (Fig. 45) und den zwölf-
jährigen Christus zwischen den Schrift-
gelehrten. Sogleich fällt uns auf, daß
die Flucht nach Ägypten eine ganz ge-
treue, nur etwas plumpe und unbeholfene
Kopie nach dem Bilde des Bramantino in
Locarno ist. Auch die Säulenhalle mit ge-
radem Gebälk auf der Darstellung im
Tempel erinnert genau an die Architekturen, die wir auf den Spätwerken Suardis kennen lernten.
Über diesen Szenen hat der Künstler ein Gesimse und einen Fries gemalt, in dem wir den verschie-
denartigsten Emblemen begegnen. In den Lünetten, die zum spitzbogigen Gewölbe überleiten, sehen
wir die Vermählung Maria und Gruppen musizierender Putten dargestellt, die uns wieder an Braman-
tino erinnern, ohne aber doch seine persönliche Eigenart ganz unzweideutig zu bekunden. Einzel-
gestalten zwischen den Rippen des Gewölbes und an der dem Kirchenschiffe zugekehrten Wand der
Kg. 58-
Bernardino Luini, Die Begegnung an der goldenen Pforte,
Fresko aus S. Maria della Pace.
Mailand, Brera.
1 «L'Arte» V, 1902, p. 166. Dargestellt ist ein jugendlicher Heiliger.
2 «Anzeiger für schweizerische Altertumskunde« 1892.
3 «Estratto del Bollettino storico della Svizzera Italiana» igo3 (Bellinzona). Beltrami gibt hier auch eine genaue Be-
schreibung aller Einzelheiten, von deren Wiederholung ich daher Abstand nehmen durfte.