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Wilhelm Suida.
(erst durch spätere chemische Veränderung stumpfes) Rot in den Gewändern Magdalenens und des
knienden Engels bringt die Komplementärfarbe des Olive bescheiden zur Geltung. Den hellen Scheiben
von Sonne und Mond, in deren Wiedereinführung bei der Kreuzigungsszene ein bewußter Archaismus
liegt, ist durch rote, beziehungsweise blaue Innenzeichnung Gesichtsausdruck gegeben. Auf die merk-
würdigen Gebäude der Stadt Jerusalem werden wir noch zurückzukommen haben. Der Erhaltungszustand
des Bildes läßt leider einiges zu wünschen übrig.
Als besonders charakteristisch wären noch die von Bramantino mit Vorliebe dargestellten Kopf-
wendungen anzuführen: Frauen und jugendliche Gestalten von weicher Empfindung liebt er den Kopf
zurück und nach der Seite legen zu lassen; Männer mit dem Ausdrucke der tatkräftigen Teilnahme, der
Hilfsbereitschaft, pflegt er von vorne heranschreitend in verlorenem Profil darzustellen. Die einen Fi-
guren tragen wesentlich dazu bei, zarte Empfindsamkeit sowie vornehme Zurückgezogenheit auszu-
drücken, die anderen geben bisweilen der Komposition gegen den Beschauer hin ihren Abschluß und
entrücken die heilige Versammlung von irdischer Gemeinschaft.
Für die Lichtbehandlung ist wieder die Annahme einer einseitigen, ziemlich scharfen Beleuchtung
(von links oben) maßgebend. Mit sichtlichem Interesse hat der Meister das Spiel des Lichtes oder
richtiger der Beleuchtung auf all den mit besonderer Delikatesse ausgeführten Händen beobachtet. Da-
neben hat er auch die früher begonnenen Versuche einer Auflösung der scharfen Konturen im Lichte in
dem Kreuzigungsbilde weitergeführt. Die konsequente Ausbildung des Sfümato, der Freilichtmalerei,
aber war unmöglich, so lange auch für die in eine Landschaft gesetzten Figuren die einseitige Beleuchtung
des Binnenraumes in Anwendung blieb. Wir werden wahrnehmen können, daß dieses Problem sehr bald
auch unseren Künstler beschäftigen sollte. Aus einer'Vertiefung in dasselbe ergaben sich einerseits Ver-
vollkommnung der Darstellung des Landschaftlichen, andererseits Veränderungen im Figürlichen. Bra-
mantino erkannte, daß ihm zur Durchbildung der räumlich-plastischen Komposition außer den Mitteln
der Linearperspektive auch die Luftperspektive dienen könne, und ihren Gesetzen scheint er immer
erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen. Zur Verdeutlichung des Raumes bedarf er nun bald der gewalt-
samen Verkürzungen nicht mehr. Aus dem genannten Grunde wohl verschwinden sie aus den Spät-
werken des Meisters.
In die Nähe der Kreuzigung gehört dem Motive sowie der Zeit der Entstehung nach ein Zeich-
nungsblatt, das sich unter Giovanni Bellinis Namen unter den tausenden nichtausgestellter Blätter in
den Uffizien zu Florenz befindet.1 Es ist eine Pinselzeichnung mit Tusche und weißer Höhung auf
grünlich grundiertem Papier. Dargestellt ist die Figur eines Mannes in weitem Gewände mit etwas zu-
rückgebogenem Oberkörper und schmerzlicher Geberde (Fig. 14). Man könnte dabei etwa an eine Ge-
stalt des Johannes am Fuße des Kreuzes Christi denken.
Dieser Gruppe von Werken muß wohl noch ein Gemälde beigezählt werden, das heute die Brera
zu'besitzen das Glück hat (Taf. XXIV).2 Man hat diese Madonna mit dem Kinde und dem heil. Josef
in einem kleinen Zimmer aufgestellt, das Darstellungen des gleichen Motivs von der Hand der namhaf-
testen lombardischen Künstler des beginnenden XVI. Jahrhunderts enthält. Die eigenartige Wirkung von
Bramantinos Bilde zwischen den analogen Werken des Solario und Sodoma, Cesare da Sesto und Gau-
denzio wird wohl niemandem entgehen.
Maria hat das etwa zweijährige Kindchen vor sich auf ein efeuumranktes Marmorpostament ge-
stellt. Zärtlich blickt sie auf den Knaben herab, der beide Ärmchen ausstreckend nach ihrem Halse
strebt, während sie sorglich mit ihrem weiten Mantel den nackten kleinen Körper deckt. Josef, ein bart-
loser Greis, tritt von der Seite heran und blickt sinnend auf das Christkind. Den freien Platz, in dessen
Vordergrunde wir die Gruppe sehen, begrenzen im Hintergrunde kulissenartig von beiden Seiten herein-
ragende Bauten. Eine Frau mit einem Kinde und mehrere andere Figuren sind dort noch zu sehen.
1 Uffizien, Cart. 413, Nr. 1686.
2 Das Bild wurde aus dem von Kardinal Monti dem erzbischöflichen Palaste vermachten Legate von Direktor Bertini
für die Brera ausgewählt.
Wilhelm Suida.
(erst durch spätere chemische Veränderung stumpfes) Rot in den Gewändern Magdalenens und des
knienden Engels bringt die Komplementärfarbe des Olive bescheiden zur Geltung. Den hellen Scheiben
von Sonne und Mond, in deren Wiedereinführung bei der Kreuzigungsszene ein bewußter Archaismus
liegt, ist durch rote, beziehungsweise blaue Innenzeichnung Gesichtsausdruck gegeben. Auf die merk-
würdigen Gebäude der Stadt Jerusalem werden wir noch zurückzukommen haben. Der Erhaltungszustand
des Bildes läßt leider einiges zu wünschen übrig.
Als besonders charakteristisch wären noch die von Bramantino mit Vorliebe dargestellten Kopf-
wendungen anzuführen: Frauen und jugendliche Gestalten von weicher Empfindung liebt er den Kopf
zurück und nach der Seite legen zu lassen; Männer mit dem Ausdrucke der tatkräftigen Teilnahme, der
Hilfsbereitschaft, pflegt er von vorne heranschreitend in verlorenem Profil darzustellen. Die einen Fi-
guren tragen wesentlich dazu bei, zarte Empfindsamkeit sowie vornehme Zurückgezogenheit auszu-
drücken, die anderen geben bisweilen der Komposition gegen den Beschauer hin ihren Abschluß und
entrücken die heilige Versammlung von irdischer Gemeinschaft.
Für die Lichtbehandlung ist wieder die Annahme einer einseitigen, ziemlich scharfen Beleuchtung
(von links oben) maßgebend. Mit sichtlichem Interesse hat der Meister das Spiel des Lichtes oder
richtiger der Beleuchtung auf all den mit besonderer Delikatesse ausgeführten Händen beobachtet. Da-
neben hat er auch die früher begonnenen Versuche einer Auflösung der scharfen Konturen im Lichte in
dem Kreuzigungsbilde weitergeführt. Die konsequente Ausbildung des Sfümato, der Freilichtmalerei,
aber war unmöglich, so lange auch für die in eine Landschaft gesetzten Figuren die einseitige Beleuchtung
des Binnenraumes in Anwendung blieb. Wir werden wahrnehmen können, daß dieses Problem sehr bald
auch unseren Künstler beschäftigen sollte. Aus einer'Vertiefung in dasselbe ergaben sich einerseits Ver-
vollkommnung der Darstellung des Landschaftlichen, andererseits Veränderungen im Figürlichen. Bra-
mantino erkannte, daß ihm zur Durchbildung der räumlich-plastischen Komposition außer den Mitteln
der Linearperspektive auch die Luftperspektive dienen könne, und ihren Gesetzen scheint er immer
erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen. Zur Verdeutlichung des Raumes bedarf er nun bald der gewalt-
samen Verkürzungen nicht mehr. Aus dem genannten Grunde wohl verschwinden sie aus den Spät-
werken des Meisters.
In die Nähe der Kreuzigung gehört dem Motive sowie der Zeit der Entstehung nach ein Zeich-
nungsblatt, das sich unter Giovanni Bellinis Namen unter den tausenden nichtausgestellter Blätter in
den Uffizien zu Florenz befindet.1 Es ist eine Pinselzeichnung mit Tusche und weißer Höhung auf
grünlich grundiertem Papier. Dargestellt ist die Figur eines Mannes in weitem Gewände mit etwas zu-
rückgebogenem Oberkörper und schmerzlicher Geberde (Fig. 14). Man könnte dabei etwa an eine Ge-
stalt des Johannes am Fuße des Kreuzes Christi denken.
Dieser Gruppe von Werken muß wohl noch ein Gemälde beigezählt werden, das heute die Brera
zu'besitzen das Glück hat (Taf. XXIV).2 Man hat diese Madonna mit dem Kinde und dem heil. Josef
in einem kleinen Zimmer aufgestellt, das Darstellungen des gleichen Motivs von der Hand der namhaf-
testen lombardischen Künstler des beginnenden XVI. Jahrhunderts enthält. Die eigenartige Wirkung von
Bramantinos Bilde zwischen den analogen Werken des Solario und Sodoma, Cesare da Sesto und Gau-
denzio wird wohl niemandem entgehen.
Maria hat das etwa zweijährige Kindchen vor sich auf ein efeuumranktes Marmorpostament ge-
stellt. Zärtlich blickt sie auf den Knaben herab, der beide Ärmchen ausstreckend nach ihrem Halse
strebt, während sie sorglich mit ihrem weiten Mantel den nackten kleinen Körper deckt. Josef, ein bart-
loser Greis, tritt von der Seite heran und blickt sinnend auf das Christkind. Den freien Platz, in dessen
Vordergrunde wir die Gruppe sehen, begrenzen im Hintergrunde kulissenartig von beiden Seiten herein-
ragende Bauten. Eine Frau mit einem Kinde und mehrere andere Figuren sind dort noch zu sehen.
1 Uffizien, Cart. 413, Nr. 1686.
2 Das Bild wurde aus dem von Kardinal Monti dem erzbischöflichen Palaste vermachten Legate von Direktor Bertini
für die Brera ausgewählt.