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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 30.1911-1912

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I. Teil: Abhandlungen
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Kristeller, Paul: Zwei dekorative Gemälde Mantegnas in der Wiener kaiserlichen Galerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.6177#0052
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42

Paul Kristeller.

die Judithzeichnung der Uffizi mit der antikisierenden Inschrift nähert sich in ihrem Charakter diesem
Stil. Möglicherweise sind auch die von Mantegna in Kupfer gestochenen Bacchanale und Tritonen-
kämpfe ursprünglich als Entwürfe für solche, Plastik nachahmende Dekorationsstücke gedacht gewesen.1
Im Inventar der Isabella d'Este vom Jahre 1542 werden zwei Bilder Mantegnas als »finto di bronzo»
erwähnt: «una nave di mare con alcune figure dentro etuna che cascha ne l'acqua», also wohl ein Jonas
oder Arion, und ein anderes «con quattro figure dentro». Andere Bilder «a guazzo» oder «di chiaro in
scuro» gemalt, werden im Mantuaner Inventar von 1627 aufgeführt. Der Anonimo Morelliano sah ein
«quadretto de Muzio Scevola, che brusa la mano propria, finto de bronzo fu de mano de Andrea Man-
tegna» im Hause des Francesco Zio in Venedig, vielleicht dasselbe, das später in der Sammlung Karls I.
wieder erscheint.2

Die kleine Zahl der hier aufgezählten Bilder Mantegnas dieser Technik vermehrt sich nun in er-
freulicher Weise durch zwei schöne Stücke, die im Vorrat des kunsthistorischen Museums des Aller-
höchsten Kaiserhauses zu Wien aufbewahrt werden und die, so viel ich weiß, bisher weder abgebildet
noch überhaupt in der Literatur über Mantegna erwähnt worden sind. Sie stammen aus der Sammlung
des Erzherzogs Leopold Wilhelm, in deren Inventar von 1659 sie unter Nr. 408 und 409 aufgeführt
werden.3 Von den beiden Bildchen, die 48-5X36"5 und 49X36 cm messen, stellt das eine die Opferung
Isaaks, das andere David als Sieger über Goliath dar (Taff. VIII und IX). Sie sind auf feine Leinwand
gemalt, und zwar so, daß die Figuren sich als hell-graues, den Umrissen nach ausgeschnittenes Steinrelief
von einem dunklen, gelbbraun und etwas dunkelblau gefleckten Marmorgrunde abzuheben scheinen. Es
ist wohl möglich, daß der David identisch ist mit dem Bilde, das im Mantuaner Inventar von 1627 in der
Librcria erwähnt wird als «1 quadretto di chiaro in scuro dipintovi David ch' ha tagliato la testa a Golia,
di mano del Mantegna — L. 60». Freilich ist es dann auffällig, daß das andere Bild mit dem Opfer
Abrahams, das offenbar das Gegenstück zum David gebildet hat, nicht ebenfalls aufgeführt wird.4

Die Formen und die Malweise des Wiener Bilder lassen jedenfalls keinen Zweifel an der Autor-
schaft Mantegnas aufkommen. In der Qualität der Arbeit stehen sie den besten Werken dieser Art gleich
und bleiben nur hinter dem vorzüglichsten dieser Gruppe, Samson und Delila in der National-Gallery,
zurück. Am Maßstabe Mantegnascher Feinheit gemessen, ist die Ausführung etwas derb. Der dekora-
tiven Bestimmung der Bilder wurde bei der Arbeit wohl Rechnung getragen, vielleicht auch den Händen
der Schüler oder Gehilfen manches überlassen. Trotzdem dürfen die Wiener Bilder wie die meisten
anderen dieser Gruppe unbedenklich für eigene Werke Mantegnas angesehen werden.

Komposition, Bewegungsmotive, Körperformen und Gewandung weisen die Gemälde unzweifel-
haft in die letzten Jahrzehnte der Tätigkeit des Meisters, in die auch alle übrigen Werke dieser Gattung
gehören. Die wuchtigen, in großen Flächen modellierten Gestalten sind erfüllt von antikischem Pathos.
Man vergleiche die Opferung Isaaks z. B. mit der kleinen Reliefdarstellung desselben Gegenstandes im
linken Bogen in der Beschneidung Christi in den Uffizi. Die Gestalt Isaaks erinnert an die gefesselten
Gefangenen auf römischen Reliefs. In seinem Gesichte sind Schmerz und Todesschrecken ergreifend,
aber mit einer der Antike verwandten Mäßigung und Abgeklärtheit ausgedrückt. David steht wie ein
Perseus mit dem Medusenhaupte weit ausschreitend neben der Leiche Goliaths, die im Verhältnis zum
Haupte und zu dem Heldenknaben sehr klein gebildet ist. Sein Kopf zeigt den runden, ebenmäßigen,

1 Abbildungen und nähere Nachrichten über diese Werke in des Verfassers Buch «Andrea Mantegna», Leipzig und
Berlin 1902.

2 Anonimo Morelliano (ed. Frizzoni), p. 179; Vasari (ed. Sansoni) III, p. 426; Crowe und Cavalcaselle (engl. Ausg.)
I, p. 417, (deutsche Ausg.) V, S. 440, Anm. 112; Catalog Bathoe (London 1757), p. 167, n. 7, Nr. 924. — Das Bild ist
aber sicher nicht identisch mit dem sehr schwachen Münchener Fragment.

3 S. Jahrbuch der Kunstsammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses I (l883), S. CVI1I: «408 und 409 Zwey StOckhel
einer Größen von Öhlf'arb au ff Leinwandt grau in grau, das erste die Opfferung Abrahams, vndt das andere der David mit
desz Holofernis Kopff in der linckhen Handt. In einer schwartz glatten Ramen, hoch 2 Span 8 Finger vndt braidt 2 Span
3 Finger. Von Mantegna Original.»

4 S. D'Arco, Delle Arti e degli artefici di Mantova II, p. 162. — In demselben Inventar (D'Arco II, p. 165) wird ein
zweites Gemälde «di chiaro in scuro con David ch'ha tagliato la testa a Golia — L. 24.» ohne Nennung des Malers ver-
zeichnet.
 
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