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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 32.1915

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Winkler, Friedrich: Studien zur Geschichte der niederländischen Miniaturmalerei des XV. und XVI. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.6174#0316
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304

Friedrich Winkler.

Ein Gebetbuch von der Hand unseres Anonymus hatte wohl Karl den Kühnen zum Besteller
(Sammlung Durrieu).

Entscheidend scheint aber das Folgende zu sein: Am Anfang unserer Abhandlung erfuhren
wir, daß Weale das in Urkunden erwähnte Gebetbuch Karls des Kühnen, das Philipp de Mazerolles
ergänzend zu schmücken hatte, ungeachtet der sehr summarischen Beschreibung der Handschrift in
den Rechnungen mit dem in Wien befindlichen Gebetbuche 1857 identifizierte. Durrieu stellt
unabhängig von diesem Gebetbuch eine Gruppe Miniaturen zusammen, die derselbe Mazerolles

geschaffen haben soll. Nun konnten wir fest-
stellen, daß der Wealesche Mazerolles iden-
tisch mit dem Durrieus ist!

Die Ubereinstimmung der beiden aus-
gezeichneten Gelehrten scheint von entschei-
dender Bedeutung für unsere Untersuchung
zu sein. Ein Einwand jedoch macht sich
geltend.

Wir unterscheiden zwei Künstler, die in
hervorragender Weise an dem Schmucke der
Handschrift beteiligt waren: A und E. Wir
konnten feststellen, daß E, den wir mit dem
Meister des Goldenen Vließes identifizierten,
vor A gearbeitet haben müsse, einen eindeu-
tigen Beweis dafür erbrachte uns der Rahmen-
schmuck auf fol. 27'. Halten wir uns nun
an die Urkunden, so müßte E, den wir mit
dem Meister des Goldenen Vließes alias Maze-
rolles identifizieren, als zweiter gearbeitet
haben. Nach unserer Untersuchung ist das
Gegenteil der Fall! Wollen wir konsequent
sein, so müssen wir vielmehr A als Philippe
de Mazerolles bezeichnen, war A doch der
ergänzende Künstler!

Die Schwierigkeiten sind nur scheinbar.
Gewiß schuf A nach E. Es ist aber sehr
wahrscheinlich, daß seine Werke zu einer
Zeit eingefügt wurden, wo in den Urkunden
nichts mehr über das Gebetbuch zu finden ist.
Die Bilder des A sind nach dem Stil um 1480—1500 entstanden, sicher nicht 1466.

Vergleichen wir, ob die Urkunden zu dieser Annahme stimmen. Das Gebetbuch, das der
Brügger Magistrat 1466 von Marc le Bongeteur kaufte, wird folgendermaßen in den Urkunden be-
schrieben: «boucke inhoudende Onser Vrouwe Ghetijden ende anderen Godtsdienst,
met güldenen ende zilveren lettren ghescreven in zwart parchemyne, ende met goude
ende zelver gheillumineert, ende anders rikelicke ghestoffeert. . . .» Danach enthielt
das Gebetbuch die Hören Unserer lieben Frau und anderen Gottesdienst, in Gold und Silber auf
schwarzem Pergament geschrieben, mit Gold und Silber illuminiert1 und sonstwie reichlich ge-
schmückt. Dieser Charakteristik entsprechen im Wiener Gebetbuch die 35 ersten Blätter, die allein
in dem ungewöhnlich dicken Bande schwarze Farbe haben. Sollte das die ursprüngliche Hand-

1 «Illuminiert» besagt im XV. Jahrhundert «mit Rankenwerk oder Initialen geschmückt». Der Ausdruck für Miniaturen-
bilder mit Figuren war ausschließlich «hystorier». Vgl. über die strenge Scheidung der beiden Ausdrücke Durrieu, «L'enlu-
mineur et le miniaturiste» in Comptes Rendus de l'Academie des Inscriptions et Beiles Lettres 1910, p. 33o ff.

Fig. 20. Paris, Collection du Cmte Durrieu, Livre de prieres
de Charles le Temeraire.
 
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