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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Glück, Gustav: Jugendwerke von Rubens
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0025
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Jugendwerke von Rubens.

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brechenden jungen Frau, zu deren Kopf die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien die wundervolle
Studie besitzt. Die Komposition des Cookschen Bildes wirkt gegen die des Madrider ruhiger und
altertümlicher, sie setzt der Betonung der Diagonale in diesem Bilde die der Vertikale entgegen;
dabei zeigt sie eine — freilich noch unausgeglichene — Kraft des Ausdrucks und der Erzählung,
eine Beherrschung des menschlichen Körpers, wie sie Van Dyck nie besessen hat. Auch die Köpfe
stimmen nicht zu Van Dycks Modellen; in einzelnen von ihnen erkennen wir aber Typen, die
kein anderer als Rubens in dieser frühen Zeit verwendet hat. Die alte Frau, die sich über die
auf dem Boden liegende Mutter mit ihrem Kinde beugt, entspricht der heiligen Anna der Liechten-
steinschen Skizze und der Greisin des linken Flügels der Kreuzaufrichtung; dem Kopfe des Moses
liegt ohne Zweifel dieselbe Studie zugrunde wie dem bärtigen Manne zur äußersten Rechten auf
der Auferweckung des Lazarus in Turin; zu dem Kopf des Mannes unmittelbar hinter Moses hat
offenbar dasselbe Modell gedient wie zu dem zweiten der Krieger auf dem Bilde des ster-
benden Seneca in München. Endlich vergleiche man die Behandlung des Nackten in unserem
Bilde mit den Aktfiguren der 1610 gemalten Anbetung der Könige in Madrid: hier wie dort die
ungewöhnlich muskulösen Rücken, die derben Arbeiterhände, die kräftigen, fast plumpen Beine,
dabei dieselbe vertriebene und runde Art der Modellierung. Ganz ähnlich ist auch das Nackte in der
Kreuzaufrichtung behandelt; zu dem wundervoll verkürzten Körper des im Vordergrunde des Cook-
schen Bildes auf dem Boden liegenden jungen Mannes findet sich hier eine Analogie in der Gestalt des
Schächers, der ans Kreuz gebunden wird, im Hintergrunde des rechten Flügels.1 Auch die groß-
artige Behandlung des Faltenwurfs, der von einem Lichtschein erhellte Himmel, die im ganzen
tiefe, fast düstere Färbung lassen Rubens' Stil dieser Zeit erkennen.2

Mit diesen Gemälden haben wir Rubens bis zur Entstehung der Kreuzaufrichtung begleitet,
des ersten ganz großen Werkes, das er als reifer Künstler in seiner Heimat geschaffen hat. Seine
künstlerische Entwicklung ist, wie wir gesehen haben, stetig und allmählich verlaufen und langsam
ist unter verschiedenartigen Einwirkungen sein ihm ganz allein eigener Stil entstanden, der fast
ein Jahrhundert lang herrschend geblieben ist.

IL Die frühen Reiterbildnisse.

Nach gleichzeitigen Zeugnissen3 gehören zu den frühesten Werken, die Rubens berühmt
gemacht haben, seine Reiterbildnisse. Die Anregungen zu dieser Aufgabe, die zu Anfang des sieb-
zehnten Jahrhunderts sozusagen in der Luft lag, kamen Rubens von verschiedenen Seiten zu. Bis zur
Mitte des sechzehnten Jahrhunderts ist das gemalte Reiterporträt noch sehr selten und die zerstreuten
und ganz verschiedenartigen Beispiele, wie etwa Uccellos und Castagnos gewaltige Reitergestalten
des John Hawkwood und des Niccolö da Tolentino im Dom zu Florenz, das kleine miniaturartige
Reiterbildnis des Königs Franz I. von Frankreich, angeblich von Jean Clouet, in den Uffizien, ein
ähnliches Miniaturporträt Philiberts von Savoyen, das in den Inventaren seiner Gemahlin Margarete
von Österreich vorkommt,4 vermögen noch nicht für eine wirkliche Entstehung der Gattung zu

1 Eine ähnliche Verkürzung zeigt auch eine ungefähr aus derselben Zeit stammende Zeichnung des Boijmans-Museums
in Rotterdam, die eine liegende Frauengestalt (etwa eine Gefährtin der Diana) vorstellt (abgebildet in Kleinmanns Hand-
zeichnungen alter Meister der vlämischen Schule I, i3).

2 Eine urkundliche Nachricht beweist überdies mit Sicherheit, daß Rubens lange vor dem um die Mitte der Dreißiger-
jahre entstandenen berühmten Gemälde der Anbetung der Schlange in der Londoner Nationalgalerie eine Komposition mit
diesem Gegenstande geschaffen haben muß: in dem vom 17. Februar 1617 datierten Nachlaßinventare des am 3. Oktober
1616 verstorbenen Malers Frans Francken d. Ä. kommt schon die Kopie eines solchen Bildes vor («een Serpentbijtinge,
naer Rubens»; vgl. F. Jos. van den Branden, Geschiedenis der Antwerpsche Schilderschool, Antwerpen 1883, p. 351).

3 Baglione, Le Vite de' pittori, scultori, architetti ed intagliatori, Neapel 1733, p. 247. — Les voyages de M. de Mon-
conys, IVe p., Paris 1693 (zitiert bei Carl Justi, Velazquez, 2. Aufl., S. 200).

4 «Sur un parchemin est peint a cheval feu monseigneur de Savoye avesques ung manteaux des marguerites»: Le
Glay, Correspondance de Maximilien I et de Marguerite d'Autriche II, 1839, p. 483.

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