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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0063
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Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert.

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neuen Stilsprache von besonderer Bedeutung sind. Es handelt sich um den Sarkophag, der für den
im Jahre i3i5 verstorbenen Beato Enrico aus Bozen im Dom zu Treviso errichtet wurde. Davon
sind nur die wichtigsten Teile als Mensa des Hochaltars in einem dem Beato geweihten Em-
piretempelchen (Fig. 29) auf uns gekommen. Ich habe bereits a. a. O. ausführlich über das Leben
des Beato Enrico sowie über die Schicksale seines Grabmonumentes berichtet,1 möchte aber hier
des Zusammenhanges wegen dasselbe kurz wiederholen.

Der Beato Enrico hat in dem i32i ernannten Bischof von Treviso, Pier Domenico di
Baone, einen Biographen gefunden, der durch die Erwähnung des Grabmonumentes für uns von
besonderer Wichtigkeit geworden ist,2 um so mehr, als seine Nachrichten durch Dokumente aus dem
Kapitelarchiv von Treviso, die Avogadro (1760) veröffentlicht hat, bekräftigt werden. Mit Hilfe
dieser Nachrichten können wir die Schicksale des Sarkophages bis hinauf ins XVIII. Jahrhundert
verfolgen. Seine Übertragung vom Dome in den Empiretempel muß während der ersten Jahrzehnte
des XIX. Jahrhunderts erfolgt sein, da Federici3 den Sarkophag noch als im Dom stehend er-
wähnt. Bei seiner Verwertung als Altar wurde, da er ursprünglich auf vier Säulen frei aufgestellt
war, das Relief der rückwärtigen Breitseite durch die» Kirchenmauer verdeckt. Dieses Relief ist uns
aber in einem von Avogadro veröffentlichten Stiche (Fig. 3o) erhalten. Aus demselben Stiche
können wir auch die ursprüngliche Verteilung der Reliefs an den Sarkophagwänden entnehmen und
mit seiner Hilfe eine Rekonstruktion des Werkes versuchen.

Wie bereits Baone erwähnt, ist die Area im Sterbejahre des Beato (1315) «fabricata in
columnis cum angelis de supra», war also ein freistehender Sarkophagkasten, von Säulen ge-
tragen, in der Art ungefähr der älteren Professorengräber in Bologna oder anderer Beispiele im
Museo archeologico zu Mailand.4 Das Motiv kommt auf venezianischem Boden zwar selten vor,
steht aber nicht vereinzelt da; denn das Grabmal des Beato Odorico da Pordenone in Udine
(Figg. 48—51) war ursprünglich auch ein von Säulen getragenes Freigrab. Obwohl die Engel, die
höchstwahrscheinlich auf dem Sarkophagdeckel akroterienartig angebracht waren, auch in einem
von Avogadro veröffentlichten Dokument aus dem Jahre 1365 Erwähnung finden (es werden ihrer
vier genannt), scheinen sie im XVIII. Jahrhundert nicht mehr vorhanden gewesen zu sein, da bereits
der Stich Avogadros sie nicht mehr kennt.

Bloß die Vorderseite und beide Schmalseiten des Sarkophags sind nun unserer Untersuchung
zugänglich. In der Mitte jener ist der thronende Christus (Fig. 3i) dargestellt, eine Hand
segnend erhoben, die andere auf ein Buch gestützt. An den Ecken stehen auf kleinen kapitell-
artigen und verzierten Postamenten zwei Bischöfe, beide mit einem Buche in der erhobenen Hand.
Inmitten der mit schwarzen Marmorplatten ausgefüllten Felder beiderseits des thronenden Christus
je eine Relieffigur eines Heiligen: rechts der Beato Enrico (Fig. 32) in der Gestalt eines Bett-
lers, mit einer langen Tunika bekleidet, Stock und Hut in den Händen, daneben die Inschrift:
BEATV RICV; links die Figur eines heiligen Kriegers, den Federici S. Fiorenzo nennt.5 Die
Seitenwände wurden, wahrscheinlich bei der Verwertung des Sarkophags als Altar, um je eine jener
Relieffiguren vermehrt, die sich ursprünglich an der nun verdeckten Rückseite befanden. Ob nun
das Mittelrelief dieses Teiles, der hl. Petrus unter einer Nische, noch an Ort und Stelle erhalten ist
oder ob es weggenommen wurde, kann ohne die Entfernung des Sarkophagaltars nicht gesagt werden.

1 Studien zur Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert II: Der Sarkophag des Beato Enrico aus
Bozen in Treviso: Monatshefte für Kunstwissenschaft VII (1914), S. 10—17.

2 Avogadro, Memorie del Beato Enrico, Venedig 1760; hier sind auch die Aufzeichnungen des Baone (Mitte des XIV. Jahr-
hunderts) abgedruckt.

3 Federici, Memorie trevigiane su le opere di disegno, Venedig ]8o3.

-1 Freistehende, von Säulen getragene Saikophage: in Padua jene des sogenannten Antinor; in Bologna, bei S. Francesco
jene der Rechtsgelehrten Accursius (f i23o), Odofredus (f 1265) und Rolandino dei Romanzi (j 1265); bei S. Domenico
jene des Rolandino dei Passeggieri (f i3oo); in Mailand (Museo archeologico) das Grabmal Bernabo Viscontis aus der
zweiten Trecentohälfte. Zu dieser Art von Freigräbern gehören auch die Arche Scaligere in Verona.

5 Federici, a. a. O. I, p. 168.

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