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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0069
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Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert.

61

IV.

Zu den Schülern der sienesischen Bildhauer Agostino und Agnolo zählt Vasari auch einen
angeblichen Venezianer, den Jacopo Lanfrani, sowie die Brüder Jacopello und Pier Paolo
dalle Masegne.1 Er versuchte somit einen Zusammenhang zwischen der toskanisch-sienesischen
und der venezianischen Skulptur festzustellen. Es ist jedoch merkwürdig, daß er nur solche vene-
zianische oder pseudo-venezianische Trecento-
bildhauer kennt, die in Bologna gearbeitet haben,
und Werke anführt, die — mit Ausnahme der
nicht mehr erhaltenen, Lanfrani zugeschriebenen
Kirche Sant' Antonio zu Venedig (1349) — in
Bologna zur Ausführung gelangten.2 Dessen-
ungeachtet setzt bereits mit Vasari die Erkennt-
nis eines venezianisch-toskanischen Zusam-
menhanges in der Trecentoskulptur ein, der
freilich, seinen Angaben gemäß, mit Lanfrani
erst in die vierziger Jahre des Trecento, mit Ja-
copello und Pier Paolo dalle Masegne gegen
Ende des Jahrhunderts zu versetzen ist. Diese
Angaben Vasaris, die sicher einen Kern von
Wahrheit einschließen, bildeten am Anfang des
XIX. Jahrhunderts die Grundlage für die erste
umfassende Darstellung der venezianischen Tre-
centoskulptur des Conte Leopoldo Cicognara.3
Das Interesse Cicognaras für diesen Kunstab-
schnitt sowie auch allgemein für die Skulptur
des Mittelalters ist ein Produkt jenes italieni-
schen «Klassizismus», dessen Wurzeln bis ins
XVI. Jahrhundert zu verfolgen sind und der als
Reaktion gegen die unmittelbare Vergangenheit

die Wiederbelebung der Künste nicht nur in
der Antike suchte, sondern die nationalen An-
fänge Italiens, das Mittelalter, als das lobens-
werte Ringen zur Erfassung des absolut «Schö-
nen» und «Guten» der neuen Zeit entgegenstellte.
Bereits Giovanni Battista Vico hatte das Mittelalter dem Heroenzeitalter der Griechen gleich-
gestellt und Dante als Homer der neuen Zeit erklärt.

Vasaris Darstellung der Kunstentwicklung, die im Grunde nur darauf zielte, Michelangelos
(respektive seine eigene und seines Zeitalters) Kunst als die Synthese alles bis dahin Geschaffenen,
die Antike inbegriffen, hinzustellen, mußte einer modifizierten, auf philosophischer Grundlage er-
richteten Auffassung weichen. An ihre Stelle trat eine in drei Stadien (Knabe, Mann und Greis)
eingeteilte Entwicklungstheorie, die vom Individuum auf die Allgemeinheit der Kultur projiziert
wurde. Der Klassizismus Winckelmanns — auf dem Cicognaras System beruht — und die
«goldene» Renaissanceauffassung Burckhardts war damit formuliert.

1 Giorgio Vasari, Le vite etc., Milanesi-Ausgabe, Florenz 1878, I, p. 444.

2 W. Kailab, Vasari-Studien, Wien 1908: Angaben über Vasari in Venedig, S. 125.

3 Conte Leopoldo Cicognara, Storia della Scultura dal suo risorgimento in Italia rino al secolo di Canova. Erste Aus-
gabe, Venedig 1813; zweite, von uns benützte Ausgabe Prato 1823. Die venezianische Trecentoskulptur ist im III. Bande
der zweiten Auflage behandelt.

Fis

35. Detail vom Grabmal des sog. Papstes Markus.
Aquileja, Basilika.
 
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