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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0070
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Leo Planiscig.

Die Sturm- und Drangperiode Italiens war nun bestrebt, die Wurzeln des italienischen
Lebens zu suchen im Gegensatze zum antik-römischen, das der Renaissance vorgeschwebt hatte.
Die Grundlagen hiezu boten die einem internationalistischen Geiste entsprungenen Forschungen des
XVIII. Jahrhunderts. So hatte bereits 1723—1738 Lodovico Antonio Muratori seine Rerum
italicarum scriptores herausgegeben und damit unter vielen gleichartigen Produkten •— es braucht
nur an Apostolo Zen erinnert zu werden — den ersten Schritt zu einer wissenschaftlichen Er-
forschung des Mittelalters getan. Zugleich war
aber ein Faktor gewonnen, der nicht nur in-
mitten des gräcisierenden und augustäisieren-
den Empires verloren ging, sondern durch
diese und durch die darauf folgende roman-
tische Periode die Grundlage für die natio-
nalistischen Bestrebungen bildete. Die Neo-
Renaissance der nationalen Gefühle Italiens,
die sich vor der großen Szenerie des —■ Europa
umfassenden — Klassizismus abspielt und die
Wurzeln des eigenen Lebens ergründen wollte,
brauchte aber ein Zentrum, einen Herd als
Ausgangspunkt für die das ganze Land um-
fassenden Ausstrahlungen. Als solcher war
durch die geographische Lage, Geschichte und
Sprache die Toskana, im engeren Sinne
Florenz gegeben. Hier, im Herzen Italiens
war'die Sprache Dantes geboren, hier mußte
man den Ursprung der Kultur und Kunst
suchen. Was Vasari, vom lokalen Patriotis-
mus geleitet, behauptet hatte, sollte nun ver-
allgemeinert und wissenschaftlich durchgeführt
werden: die Toskana als das Ursprungs-
land der nationalen Kultur und Kunst; der
Renaissancebegriff rückprojiziert in Zeitalter,
die für Vasari noch verächtlich «gotici» waren;
die Gotik selbst als ein Bestandteil der na-
tionalen Entwicklung betrachtet. Ist es —
um nur ein Beispiel herauszugreifen — nicht
merkwürdig, daß ein führender Geist der Zeit,
der Conte Algarotti,1 in einem Briefe an
Temanza, wo er über die Projekte Palladios
für den Ausbau der Fassade von S. Petronio in Bologna schreibt, ruhig und selbstverständlich er-
klärt, daß dieser Baukünstler «sopra l'ordine gotico» zwei andere «ordini alla romana» errichten
wollte? Es steckt in diesen Worten eine Konzession, die Vasari sich nie hätte erträumen lassen.
Die Gotik «ordine di architettura» zu heißen, bedeutet die Sprengung aller vitruvianischen Re-
geln, an denen Renaissance und Barock festhalten zu müssen geglaubt hatten. War aber die Gotik
ein Glied der nationalen Entwicklung, so gebührt es ihr, unter die «ordini» der Architektur ein-
gereiht zu werden. Ihr folgten sodann die «ordini alla Romana». Also auch in dieser Beziehung
eine nationale, italienische Umwertung der «ordini romani» oder «antichi», wie sie das XVI. und
XVII. Jahrhundert in den vielen Traktaten nach Vitruv nannte.

Fig. 36. Detail des Grabmals des sog. Papstes Markus.
Aquileja, Basilika.

1 Conte Algarotti, Opere VI (Livorno 1765): Lettere sopra l'Achitettura, p. 217.
 
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