DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
DOI Artikel:Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0071
Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert.
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Daher dürfen wir uns nicht wundern, wenn Cicognara, ein «Klassizist» im obigen Sinne des
Wortes, einen besonderen Wert auf die Behandlung der italienischen Skulptur des Mittelalters, der
Gotik, legte und aus gleichem Grunde das von uns zur Erforschung gewählte Gebiet, Venedig,
nicht außer acht ließ. Es war kein Zufall, daß im paduanisch-venezianischen Gebiete, im Schlosse
von Catajo bei Battaglia, der Marchese Tommaso degli Obizzi am Ende des XVIII. Jahr-
hunderts neben teilweise ererbten hervorragenden Werken der Antike auch Skulpturen des Mittel-
alters, zumeist venezianische, gesammelt hatte, nicht als Folge einer krankhaften Passion für «anti-
caglie», wie sie in der bekannten Komödie Goldoni geschildert hat, sondern dem neuen Zuge der
Zeit folgend, der aus demselben Geiste entsprang wie Cicognaras Interesse für das gleiche Gebiet.1
Fig. 3". Grabmal des Dogen Giovanni Soranzo.
Venedig, S. Marco.
Dies war aber nur der Anfang einer viel tiefer gehenden Reaktion: ungefähr zwanzig Jahre
nach Cicognara läßt Selvatico2 die Kunst überhaupt nur bis auf Raffael gelten; Michelangelo ist
für ihn die faule Frucht, die alle daraufkommenden Künstlergenerationen angegriffen und ver-
dorben hat. Wie weit Italien selbst an dieser Umwertung selbständig mitgearbeitet hat, ist schwer
festzustellen. Sicher ist, daß die Vorläufer dafür im Norden, in Deutschland und England zu suchen
sind. Der «Präraffaelitismus» Selvaticos war keine italienische Erfindung; er kam vom Norden, um
wiederum in einer ästhetisch durchsättigten Form nach Norden importiert zu werden.
Das rege Interesse Cicognaras für das Mittelalter im allgemeinen und im besonderen für die
venezianische Trecentoskulptur sowie seine daran geknüpften Anschauungen über deren Ursprung
1 Ein großer Konkurrent des Marchese Obizzi im Sammeln auch mittelalterlicher Kunstobjekte war in Venedig der^
Graf Correr, dem jetzt die Stadt die große und wertvolle Sammlung verdankt. Siehe V. Lazari, Notizia delle opere d'arte e
d'antichitä della Raccolta Correr di Venezia, Venedig 1859. Lanzi.
s Selvatico ist l8o3 in Padua geboren und starb 1879 in Piacenza. 1850 — 1858 war er Direktor der Accademia in
Venedig.
XXXIII. 9
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Daher dürfen wir uns nicht wundern, wenn Cicognara, ein «Klassizist» im obigen Sinne des
Wortes, einen besonderen Wert auf die Behandlung der italienischen Skulptur des Mittelalters, der
Gotik, legte und aus gleichem Grunde das von uns zur Erforschung gewählte Gebiet, Venedig,
nicht außer acht ließ. Es war kein Zufall, daß im paduanisch-venezianischen Gebiete, im Schlosse
von Catajo bei Battaglia, der Marchese Tommaso degli Obizzi am Ende des XVIII. Jahr-
hunderts neben teilweise ererbten hervorragenden Werken der Antike auch Skulpturen des Mittel-
alters, zumeist venezianische, gesammelt hatte, nicht als Folge einer krankhaften Passion für «anti-
caglie», wie sie in der bekannten Komödie Goldoni geschildert hat, sondern dem neuen Zuge der
Zeit folgend, der aus demselben Geiste entsprang wie Cicognaras Interesse für das gleiche Gebiet.1
Fig. 3". Grabmal des Dogen Giovanni Soranzo.
Venedig, S. Marco.
Dies war aber nur der Anfang einer viel tiefer gehenden Reaktion: ungefähr zwanzig Jahre
nach Cicognara läßt Selvatico2 die Kunst überhaupt nur bis auf Raffael gelten; Michelangelo ist
für ihn die faule Frucht, die alle daraufkommenden Künstlergenerationen angegriffen und ver-
dorben hat. Wie weit Italien selbst an dieser Umwertung selbständig mitgearbeitet hat, ist schwer
festzustellen. Sicher ist, daß die Vorläufer dafür im Norden, in Deutschland und England zu suchen
sind. Der «Präraffaelitismus» Selvaticos war keine italienische Erfindung; er kam vom Norden, um
wiederum in einer ästhetisch durchsättigten Form nach Norden importiert zu werden.
Das rege Interesse Cicognaras für das Mittelalter im allgemeinen und im besonderen für die
venezianische Trecentoskulptur sowie seine daran geknüpften Anschauungen über deren Ursprung
1 Ein großer Konkurrent des Marchese Obizzi im Sammeln auch mittelalterlicher Kunstobjekte war in Venedig der^
Graf Correr, dem jetzt die Stadt die große und wertvolle Sammlung verdankt. Siehe V. Lazari, Notizia delle opere d'arte e
d'antichitä della Raccolta Correr di Venezia, Venedig 1859. Lanzi.
s Selvatico ist l8o3 in Padua geboren und starb 1879 in Piacenza. 1850 — 1858 war er Direktor der Accademia in
Venedig.
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