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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0074
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Leo Planiscig,

die geschraubte Konstruktion, die ihn zu dieser Annahme geführt hat, nur der alten Tradition.1
Man glaubt zwar nicht mehr, daß Nicolö den Santo zu Padua errichtet habe,2 daß von ihm die
Madonna am Hauptportal der Frari-Kirche stamme; aber sein Name wurde einst von Cicognara in
Verbindung mit diesen beiden Städten gebracht und dies ist nicht mehr auszurotten. Sind darin
nicht vielleicht jene Spuren nationalistischer Tendenzen vorhanden, die, am Anfange des XIX. Jahr-
hunderts geboren, ihren Höhepunkt in dem Wettstreit zwischen Florenz und Siena um das Primat
in der Malerei erreichten?

Es gibt rein literarische Scheinfundamente in der Kunstgeschichte, die unumstoßbar sind.3 In
unserem Falle hat nur eine stetige Namensverschiebung stattgefunden. Das alte Schema ist aber
geblieben. So sehen wir auch Bertaux4 in den hergebrachten Irrtum verfallen: die in der Literatur
so wichtig gewordene Madonna der Frari-Kirche, mit der sich Paoletti5 des längeren beschäftigen
mußte, um sie gegen alle Traditionen endlich einmal richtig an den Anfang des XV. Jahrhunderts
zu setzen, ist freilich für ihn nicht mehr das Werk Nicolös, sondern sie gehört seiner Meinung nach
mehr oder weniger der Kunstsphäre Giovannis an!6

Dieser ein Jahrhundert lang verschleppten, immer wiederholten, nie aber klar formulierten
Auffassung des toskanischen Einflusses in Venedig muß eine objektive Materialforschung ent-
gegengestellt werden, um das Gesagte zu kontrollieren und um an der Hand von neuerkannten
Tatsachen das Verhältnis der beiden Kunstzentren, Florenz und Venedig, feststellen zu können.

V.

Die Behauptung Venturis,7 daß die Statuen des Giovanni Pisano in Padua — die signierte
Madonna und die zwei leuchtertragenden Engel in der Arena-Kapelle — einen direkten Einfluß
auf die venezianische Skulptur ausgeübt hätten, wurde von ihm durch keine Beweise gerechtfertigt.
Der Stil der — um fünfzig Jahre später entstandenen — Skulpturen am Grabmal des Jacopo da
Carrara (Fig. 81) erweist sich als das Produkt einer einheimisch-venezianischen Entwicklung und
ist bereits weit von der Schule Giovannis, geschweige von Giovanni selbst entfernt. An einem von
Venturi nicht gekannten paduanischen Werke, das i3i6 entstanden ist, treten aber auf einmal
deutliche Kennzeichen der toskanischen Kunst auf. Es ist dies der Sarkophag des heiligen
Lukas, der im Auftrage von Gualpertino Musatto im linken Seitenschiff von Sta Giustina zu
Padua errichtet wurde (Figg. 38—41).8

1 Siehe die Ausführung im Kapitel I, S. 34.

2 Zwar glaubt Pierre de Bouchaud, a. a. O., p. 47 (siehe Kapitel II, S. 52, Anm. 5) noch ernst daran.

3 B. Magni, Storia dell'arte italiana dalle origini al secolo XX, Rom 1900, I, p. 523. Auch hier ist das Trecento
Venedigs von Nicolö und Giovanni Pisano abhängig — dies sollen die Werke von Jacopo Lanfrani, einem Schüler des
Giovanni (!!) zeigen.

4 Bertaux, a. a. O., p. 63g.

3 Pietro Paoletti di Osvaldo, L'archilettura e la scultura del Rinascimento in Venezia, Venedig i8g3, p. 4g.
6 Für Venturi, a. a. 0. IV, p. 505, zeigt auch dieses Stück seiner Nino-Theorie zuliebe «reminiscenze dell'arte di
Nino Pisano».

' Siehe Kap. III, S. 60, und Kap. IV, S. 65. — So auch Venturi a. a. O. IV, p. 214, wo von den Statuen Giovannis in der
Arena-Kapelle folgendes gesagt wird: «. . . divennero esemplari agli scultori del Veneto, come gli affreschi di Giotto
nel medesimo Santuario servirono a rinnovare 1' arte pittorica di quella regione.» — Die Ansichten Venturis finden wir zu-
letzt in einem Aufsatze von E. Ravaglia, I monumenti sepolcrali nel Medioevo, in Rassegna d'Arte XII (igi2), p. 14g ff., skla-
visch vertreten.

8 Bloße Erwähnung findet dieses Grabdenkmal in folgenden Werken: Rossetti, Descrizione delle pitture, sculture ed
architetture di Padova, Padua 1780, p. 199; De Marchi, Nuova Guida di Padova, Padua 1855, P- '92> Selvatico, Guida di
Padova e dei principali suoi contorni, Padua 1869, p. 181 (hier auch eine flüchtige Skizze des Sarkophags); G. Chiesi im
Band Verona, Vicenza, Padova von «La Patria», Turin igo3, p. 358; Moschetti, Padova, in iltalia artistica», Bd. LXV
(Bergamo 1912), p. 27. — Die Datierung unseres Werkes kann man aus einer Inschrifttafel, die sich hinter dem Sarko-
phage an der Kirchenwand befindet, folgern. Sie ist zwar modern (erste Hälfte des XIX. Jahrhunderts), aber aus den
«Frammenti» des Albertino Mussato entnommen, der sie wahrscheinlich seinem Bruder Gualpertino, dem Erbauer des Grab-
lenkmales, gewidmet haben wird. Sie trägt die Jahreszahl 1316. — Unter dieser Inschrift befindet sich eine eiserne Kiste,
 
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