Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0087
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert.

79

das Verhältnis nicht das umgekehrte ist, wird sich aus der näheren Betrachtung der Udineser
Skulpturen klar und deutlich ergeben.1

Bei der Untersuchung der Area des hl. Lukas in Padua haben wir Einflüsse jenes Zwischen-
stadiums der pisanischen Kunst festgestellt, das seinen Hauptrepräsentanten in Fra Guglielmo hat.
Gegenüber dieser schon zu Giovanni Pisano hinüberleitenden Phase der Entwicklung zeigt die B.
Simeone-Figur, wenn sie auch auf jener gemeinsamen Basis, die für die Pisani-Schule in erster
Linie maßgebend gewesen ist, der Antike, ruht, einen verschiedenen Charakter. Wir haben an unserer
Figur ein gewisses Schema in der Behandlung des Faltenwurfes des Bartes und der Haare
festgestellt, dabei aber auch jene klassische Monumentalität hervorgehoben, die in der Gesamt-
wirkung des Kopfes steckt. Um diesen antiken Inhalt zu erklären, genügt der Name Marcus
Romanus allein nicht. Schon bei der Besprechung des B. Enrico-Sarkophags in Treviso haben
wir die römische Kunst am Ende des XIII. und am Anfang des XIV. Jahrhunderts herangezogen.
Um diese Zeit aber werden wir schwer in Rom etwas finden können, das unserer Figur gleich-
gestellt werden könnte. Der größte Künstler, den man wohl trotz seiner pisanischen Schulung zu
den Cosmaten zählen darf, Arnolfo di Cambio, erreichte in seinem Hauptwerke, in dem Grab-
monument De Braye zu Orvieto, trotz seiner glücklichen Verbindung der dekorativen, mit antiken
Motiven durchtränkten Kunst der römischen Marmorari und des gotisch-pisanischen Stiles nicht
den Ausdruck des Kopfes des B. Simeone. Gegenüber den Werken Arnolfos müssen wir bei unserer
Figur einen stärkeren antiken Einschlag feststellen. Dabei hat Berteaux einen großen Irrtum be-
gangen, indem er den Marcus Romanus als einen Schüler Giovanni Pisanos bezeichnete. Gewiß wird
man an dem Werke unseres Bildhauers auch Elemente der Kunst Giovannis finden können. Aber
gerade diese Elemente sind nicht jene neuen, französisch-gotischen, welche die Kunst Giovannis
von jener seines Vaters so gewaltig differenzieren, sondern eben jene vom Vater geerbten, der
Antike entnommenen, die in der Kunst des Sohnes doch von sekundärer Bedeutung geworden sind.
Wenn wir den Herkules des Giovanni (Pisa, Museo Civico) betrachten, so werden wir in der
Behandlung des Kopfes eine gewisse Ähnlichkeit mit unserer Figur finden: in der Art, wie die
Stirn gebildet ist, in der Linie der Nase, im Schnurrbarte, der mit einem Bohrloch endigt. Aber der
Gesamteindruck des Kopfes des B. Simeone ist doch ein anderer. Es findet sich darin etwas
Klassisches, Spätantikes, ein Ausdruck wie etwa der des sterbenden Galliers oder des
Gigantenkopfes am Pergamenischen Altare, nicht der des friedlich Eingeschlafenen, wie wir
ihn so häufig auf den Trecentosarkophagen Italiens und speziell Venedigs finden. Wir haben hier
einen Leidenden, im Tode Gequälten vor uns. Dieser Zug entspricht sicher nicht einem natura-
listischen Wollen sondern beruht lediglich auf spätantiken Vorbildern. Daß solche von un-
serem Künstler direkt benutzt wurden, scheint mir allerdings nicht sehr wahrscheinlich zu sein;
denn nach dem Wenigen, was wir über die römischen Marmorari am Anfange des Trecento wissen,
ist ihre Schule in Rom bald dem Verfall entgegengegangen, wozu das «babylonische» Exil der
Päpste und die inneren Streitigkeiten der nunmehr herrenlosen Stadt beigetragen haben mögen.
Die Cosmaten und die ihnen verwandten Marmorari, durch Arnolfo auf den Höhepunkt ihres
Schaffens gebracht, sinken bald zu einfachen Steinmetzen herunter. Größtenteils verlassen sie aber
Rom und betätigen sich im übrigen Italien und auch im Auslande. Jener Sienese Nicolö da
Montefonte, der i3ii die beiden Ambonen der Kathedrale von Benevent schuf, ist ein Schüler
der Cosmaten geblieben, trotz des gotisch-sienesischen Gehaltes seiner Figuren. In den dekorativen
Teilen des B. Enrico-Sarkophags von Treviso haben wir den Einfluß dieser im Trecento aufge-
riebenen Marmorari-Schule feststellen können. Wie weit nun die Antike, außerhalb der Deko-
ration, auf sie gewirkt hat, ist nach den uns noch heute erhaltenen Monumenten schwer zu er-
mitteln. Ist aber doch in Rom jene große bronzene Statue des hl. Petrus entstanden, die man
lange für spätantik hielt und die Wickhoff2 dem Dugento gerettet hat.

1 Siehe Kapitel VI, S. 86.

2 Wickhoff, in der Zeitschrift für bildende Kunst 1889, S. 109 f.

XXXIII. II
 
Annotationen