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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0089
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Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert.

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1400 entstanden ist, zeigt, daß die römischen Bildhauer am Anfange des Quattrocento nur noch
von den Schemen der Giovanni Pisano-Schule weiterlebten.

Marcus Romanus bleibt trotz seines hervorragenden Werkes eine für uns unbekannte Künstler-
individualität. Man hat ihn mit einem Marcus Venetus identifizieren wollen, der in den Jahren
i3o8 und i3io zwei Kapitelle im Kreuzgang von S. Matteo in Genua ausführte,1 indem man an-
nahm, daß er wegen seines venezianischen Aufenthaltes den Beinamen «Romanus» in «Venetus»
umgewandelt hätte.2 Diese kindische Spekulation wird, außer durch ihre Gezwungenheit, auch
durch den stilistischen und qualitativen Unterschied der Kapitelle in Genua, die nichts mit dem
Meister unserer Figur Gemeinsames haben, widerlegt.

Die Lobinschrift, auch in ihrer Form für den Anfang dieses Jahrhunderts typisch,3 beweist,
daß man sich zur Zeit der Ausführung des Werkes seiner hohen Qualität bewußt war. Der Einfluß,
der von ihm ausging und den man gerade in den besten Leistungen der venezianischen Skulp-
tur während der ersten Trecentohälfte wahrnehmen kann, rechtfertigt jene Bedeutung, die wir
ihm beigemessen haben. Wenn auch die B. Simeone-Figur des Marcus Romanus ein in ihrem
Werden isoliertes Denkmal sowohl in der römischen als auch in der venezianischen Skulptur ist,
so bildet sie doch den Ausgangpunkt für einige bedeutende Werke, die während der ersten Hälfte
des Trecento im Veneto entstanden sind.

VI.

Weder die Area des hl. Lukas noch jene des B. Simeone wären je imstande gewesen, den
großen Umschwung herbeizuführen, der sich in der Skulptur Venedigs vorbereitete. Zwar wurde
die Figur des B. Simeone als vorbildlich für ein anderes, in Udine befindliches Werk bezeichnet.
Dieser Einfluß kann aber ohne die erneuernde Welle, welche die venezianische Skulptur über-
flutete, nicht erklärt werden: zuerst mußten die Errungenschaften der Toskana ihr Eigen werden,
bevor die venezianischen Bildhauer aus der Figur des B. Simeone Neues schöpfen konnten. Der
toskanische Einfluß mußte auf einer breiteren Basis eindringen, ein Gemeingut wenigstens für die
empfänglicheren Tajapiera werden, bis diese das Verständnis und die Kraft erlangen konnten,
aus einem importierten Kunstwerke etwas zu ihrem Vorteile zu schöpfen. Daß aber während
des zweiten und dritten Jahrzehntes des Trecento die Kunst der Toskana kein fremdes Ele-
ment für die venezianischen Bildhauer war, wird aus der Betrachtung einiger bedeutender Werke
auf der Terraferma und in Venedig hervorgehen.

In der Kapelle rechts vom Chore des Domes zu Treviso befindet sich hoch oben an der
Mauer das Grabmonument des Bischofs Castellano da Salomone (Fig. 47), einer der be-
rühmtesten Persönlichkeiten dieser Stadt im Trecento.4 Der Sarkophag, der kurz nach dem Tode
des Bischofs (i32i) errichtet wurde, besteht aus einem rechtwinkeligen Kasten, über dem sich
ein Paradebett erhebt, worauf die Figur des Toten ruht, während zwei Engel die Vorhänge
tragen. Die Vorderseite des Kastens ist mit drei Figuren geschmückt: in der Mitte der Bischof
selbst, in einer Hand den Stab haltend, die andere im Segengestus erhoben; an den Ecken neben
gewundenen Säulchen die Szene der Verkündigung, rechts der Engel, links die Madonna.

Dieses Grabmonument zerfällt deutlich in zwei Teile: Sarkophagkasten und Paradebett.

1 Mothes a. a. O. I, S. 180; Filippini a. a. O., p. 95.

2 Fulin-Molmenti, Guida, a. a. 0., p. 327, halten den «Marcus Venetus» für einen der Gefangenen aus Meloria.

3 Es ist nicht uninteressant festzustellen, daß sich eine mit jener des Marcus Romanus gleichlautende Inschrift am
Grabmal des Bischofs von Pistoja, Tommaso d' Andrea (f i3o3), in der Hauptkirche von Casole befindet. Nur Name und
Ort wurden verändert. Sie lautet: f GELAVIT GANVS OPVS HOC INSIGNE SENENSIS ; LAVDIBVS IMMENSIS EST
SVA DIGNA MANVS. — Die Betonung des Romanus scheint eine gewollte zu sein: Giovanni di Cosma signiert Cives
Romanus. Es liegt darin etwas bewußt Antikisches.

4 Vgl. Federici, Memorie trevigiane I (Venedig i8o3), p. 167; eine kurze Erwähnung bei G. Biscaro, La tomba di
Pietro di Dante a Treviso: l'Arte II (Rom 1899), p. 421, sowie im Cicerone (X. Aufl.), p. 110.

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