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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0097
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Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert.

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aus dem hervorgeht, daß im Jahre i334, also zwei Jahre nach der Ausführung unserer Area, in
Venedig ein Bildhauer Namens Filippo de Sanctis lebte.1 Ich halte das Vorkommen dieses
Namens nicht für zufällig und glaube, daß Venni eine sichere, historische Basis gehabt hat, um
den vollen Namen des Künstlers der Area des B. Odorico anführen zu können.

Das Ergebnis dieser Untersuchung ist ein doppeltes: in Filippo de Sanctis haben wir einen
sicher venezianischen Künstler vor uns, der den Namen mit der größten Bildhauerfamilie des
venezianischen Trecento gemeinsam hat. Wir wissen zwar nicht, ob Filippo mit Andreolo de
Sanctis2 in verwandtschaftlicher Beziehung stand; aber den Werkstattbetrieb der mittelalterlichen
Skulptur im Auge behaltend, kann man die Möglichkeit dieser Annahme nicht ohneweiteres ab-
weisen.

Wäre nicht der Udineser Sarkophag, dessen Meister nun-
mehr als Venezianer sichergestellt ist, so hätte man die
Skulpturen des Castellano-Grabmales in Treviso trotz auffälli-
ger venezianisch-einheimischer Eigenarten für das Werk eines
aus der Toskana eingewanderten Künstlers halten können.
Denn viele toskanische Bildhauer wanderten während des
Trecento nach Oberitalien. Politische «fuorusciti» kamen i3og,
1314 und i3i7 von Lucca nach Venedig, in späteren Zeiten
— um bestimmte Künstlernamen anzuführen — auch Agnolo
Gaddi3 und Cennino Cennini, der theoretische Verbrei-
ter pisanischer und giottesker Kunsterfahrungen. Im Jahre
i338 brachte Giovanni di ßalduccio da Pisa die tos-
kanische Kunst in die Lombardei und schuf mit der Area
des S. Pietro Martire in Sant'Eustorgio zu Mailand
ein Beispiel, aus dem die bereits steril gewordene Kunst der
Campionesi und der Comacini jenes neue Wissen schöpfen
konnte, das nicht nur in ihrem Hauptwerke, in den Sca-
liger-Gräbern zu Verona, sondern auch in der ganzen lom-
bardischen Skulptur nach i338 zum Ausdruck gelangte.4

In den Fragmenten des B. Odorico-Grabmals haben wir
nun das Werk eines venezianischen Bildhauers vor Augen, der sich — wie der Künstler, des Ca-
stellano-Sarkophags — die toskanischen Errungenschaften, nicht direkt jene des Stiles Giovannis
sondern in einer genrehaften Form mit einer Tendenz zum erzählenden Charakter, wie wir sie
als typisch für die sienesische Bildhauerschule bezeichnet haben, angeeignet hatte.

a) Das Relief der ursprünglichen Vorderseite (Fig. 48) zeigt keine der charakteristi-
schen Stileigenschaften des Giovanni Pisano, obwohl auch hier die pisanische Kunst als Grundlage
gelten muß. Man betrachte die Volksmenge links: in der Gruppierung der einzelnen Figuren
Analogien zu gleichen Personengruppen auf den Szenen des jüngsten Gerichtes an der Kanzel
Giovannis in Sant'Andrea zu Pistoja. Das Schema ist in beiden Fällen fast das gleiche: eine
liegende Figur in der linken Ecke, dahinter eine zweite, die den Kopf erhebt, und noch
weiter im Hintergrunde eine dritte, fast frontal gesehene; neben ihr zwei andere Figuren, die
erste mit einer charakteristischen Bewegung des rechten Armes und mit erhobenem Kopfe, die
zweite gleichfalls den Blick nach oben zu gewendet. Aber nicht nur in den Details sondern auch

Fig. 55. Evangelist Johannes.
Venedig, Scuola di S. Giovanni Evangelista

1 i33j., Juni 1: dem Phylipus taiapetra de Sanctis de confinio Sc!> Pantalconis wird eine Strafe auferlegt, weil
er nicht rechtzeitig den patroni des Arsenals certas gurnas lapidum geliefert hatte (Archivio di Stato Grazie VI).
* Siehe Kapitel VIII.

3 Siehe J. v. Schlosser, Tommaso da Modena und die ältere Malerei in Treviso: Jahrbuch der kunsthistor. Sammlungen
des Allerhöchsten Kaiserhauses, Bd. XIX (Wien 1898).

4 A. G. Meyer, Lombardische Denkmäler des XIV. Jahrhunderts, Stuttgart 1893, S. 4 ff.

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