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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0100
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92

Leo Planiscig.

Giovanni Pisanos, die wir wegen ihres Hauptrepräsentanten Tino da Camaino als sienesisch be-
trachtet haben, einen neuen französischen Einfluß aufgenommen hätte; manches an den Anjou-Grä-
bern in Neapel könnte dadurch erklärt werden. In unserem Falle ist es aber schwer festzustellen, ob
wir es mit einem direkten französischen Einfluß zu tun haben oder — was mir in Anbetracht der
übrigen toskanischen Elemente wahrscheinlicher erscheint — mit einer toskanisch-sienesischen Be-
arbeitung desselben. Abgesehen von der Komposition, wird man vom rein stilistischen Standpunkt
die beste Analogie für die Franziskanermönche, die das Leichentuch mittragen, sowie für den
Patriarchen und den Gastaldus in den bolognesischen Professorengräbern finden, deren stilisti-
scher Ursprung bei der Besprechung des Lukas-Sarkophags erörtert wurde.

c) Die Figuren der Sarkophagecken (Figg. 50 u. 51) stehen — im Vergleiche zu jenen
des Castellano-Grabdenkmals — unter einem stärkeren toskanisch-pisanischen Einfluß, sind somit
— da sie der sienesisch-venezianischen Umwertung zum großen Teile entbehren — in der stilisti-
schen Entwicklung zurückgeblieben, trotz ihrer hohen qualitativen Werte. Andererseits verkünden
sie Motive, die für die Skulptur Venedigs im XIV. Jahrhundert typisch sind. Figuren wie dem
hl. Franziskus und dem hl. Thomas werden wir noch manchmal, namentlich auf Devotions-
relief's begegnen. Die Szene der Verkündigung, die bereits an der Area des Castellano als etwas
typisch Venezianisches bezeichnet wurde, kehrt hier wieder und tritt in der Verarbeitung der tos-
kanischen Einflüsse, die nun bevorsteht, als ein konstanter Faktor der Grabmalkunst Venedigs
auch weiterhin auf. Stilistisch ähnliche Figuren mit kleinen lokalen Unterschieden sind auch in
der Lombardei nachweisbar, jedoch nicht vor dem Auftreten des Giovanni di Balduccio aus Pisa.

Ein bisher nie beachtetes Relief in S. Simeone profeta zu Venedig (Taf. XII) muß an
dieser Stelle in Verbindung mit der Figur des B.. Simeone und jenen des B. Odorico-Grabmales
besprochen werden, ein Devotionsrelief, das an der rechten Innenwand der Kirche eingemauert ist.
Es stellt den Evangelisten Johannes dar, einem rechts von ihm unter einer gotischen Bifore
knienden Donator den Segen erteilend. Oberhalb des Fensters, links vom Haupte des Heiligen be-
ginnend, ist eine — teilweise fragmentarische — Inschrift angebracht.1 Der Zusammenhang der
Evangelistenfigur mit jener des B. Simeone ist leicht zu erkennen, um so interessanter aber, da
sich beide Werke in derselben Kirche befinden. Mit den Figuren des Odorico-Grabmales bestehen
derartige stilistische Ubereinstimmungen, daß man beinahe veranlaßt wäre, beide Werke als von
einem Künstler gefertigt zu betrachten. Der segnende B. Odorico vom Relief der Sarkophag-
vorderseite oder die tote Gestalt des Beato zeigen im Typus und in der stilistischen Behandlung
auffällige Berührungspunkte mit der Evangelistenfigur: Struktur der Köpfe, gerunzelte, an den
Schläfen zusammengezogene Stirnen, tiefe Augenhöhlen, weiche und aufgeschwollene Lippen; Be-
handlung des halboffenen Mundes und der mit dem Bohrer bearbeiteten svmmetrisch in zwei große
wellenartige Locken geteilten Bärte; Ausführung der Gewänder, deren Falten mit Flächen ab-
wechseln und die, auf dem Boden angelangt, noch eine Falte um den Fuß bilden. Neben der
Figur des B. Odorico ziehe man auch jene des hl. Thomas zum Vergleiche heran: auffällige
Kongruenz in der Kopfbehandlung und im Faltenwurf der Gewänder; sogar in Einzelnheiten
stimmen diese Werke miteinander überein. Es wäre nun zwar verfänglich, an Skulpturen des
Trecento, wo das Typische gegenüber dem Individuellen die Oberhand hat, nach einer Art Morelli-
scher Methode vorzugehen; nichtsdestoweniger ist in diesem speziellen Falle die Ähnlichkeit der
ISehandlung der Ohren eine recht auffallende. Es steckt wirklich etwas Individuelles darin, etwas,

1 Diese Inschrift, soweit sie noch erhalten ist, lautet:

L HONORE j| S. IOHIS . EV . . .

THOLOMEVS

HVI ECCLIE PE . . .

FIERI HOC ALTARE E . . .

RE VNO CAPETINO . D IPSO

SVIS PPETVIS . TEMPO

RIBVS.
 
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