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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0109
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Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert.

IOI

im letzten Grunde die französische Gotik, die hier nachklingt. Bei der Madonna des Antelami
sitzt das Kind seitlich auf ihrem Knie und hebt die Hand wie auf unserem Relief. Auffallend ist
die Kopfbehandlung — namentlich die der Haare — des Jesukindleins auf diesen zwei Werken,
Errungenschaften der neuen gotischen Kunst, die trotz des neubelebten Byzantinismus nicht ver-
loren gingen. Es brauchte nur noch einmal von außen her die neue Kunst stärker zu wirken, um
diese Elemente, die latent unter einem anfangs viel wuchtigeren Einfluß verborgen blieben, zur
völligen Entfaltung zu bringen.

Ein anderes Werk, ein Madonnenrelief am Eingange des Chiostro dei Carmini in
Venedig (Fig. 65), das durch seine Inschrift in der kunsthistorischen Literatur als die Arduino-
Madonna berühmt wurde, hat dieselben sti-
listischen Merkmale wie die Portogruaro-Ma-
donna. Sie gehört einer viel späteren Zeit an
und deshalb tritt hier selbstverständlich die
venezianisch-einheimische Note mehr hervor.
Da aber andererseits dieses Relief keinen un-
mittelbaren toskanischen Einfluß erfahren hat,
steht die Qualität seiner Ausführung nicht auf
der Höhe der gleichzeitigen und sogar auch
älterer Werke, wie etwa der Skulpturen des
Filippo de Sanctis und seines Kreises. Unter
einem kleeblattförmigen gotischen Bogen, der
von zwei gewundenen Säulen getragen wird,
sitzt die Madonna, dem Kinde die Brust rei-
chend. Über dem Bogen beginnt folgende
Inschrift, die am unteren Teile fortgesetzt
wird: MCCCXL OCTOBRIS — ARDVIN
TAIA PETRA FECIT. — Die Berühmtheit
dieses Reliefs ist auf diese Signatur und auf
das Datum zurückzuführen. Der Name Ar-
duin sagt uns nichts. Er verschwindet im
Dunklen der venezianischen tajapiera des
Trecento, deren Kunstcharakter korporativ
war. Daß der Stil dieses Werkes nichts In-
dividuelles enthält, hatte bereits Cicognara
empfunden.1 Er schrieb darüber folgendes:
«. . . una scultura del genere di molte altre
che veggonsi sopra la porta di S. Basilio e a
S. Matteo e che vedevansi in Sant' Antonio di Castello e in parecchi altri luoghi della cittä.»
Selvatico2 sah darin nur eine «rozza immagine», Meyer3 dagegen den Anfang eines neuen Stils,
den Repräsentanten einer neuen Ära, und in der groben Form glaubte er den Beginn realistischer
Tendenzen, in der Art, wie sich das Kind der Mutter anschmiegt, bereits jenes Liebliche erblicken
zu können, das erst in späteren Madonnen zum Ausdrucke kam. Gabelentz4 führt das Relief als
gotisches ohne jeden byzantinischen Einfluß an.

1 Cicognara a. a. O. III, p. 352. 2 Selvatico a. a. O., p. 104.

3 A. G. Meyer, Das venezianische Grabdenkmal etc., a. a. O., S. 82.

4 Gabelentz a. a. O., S. 2i3. — Erwähnt bei Mothes a. a. O. I, S. 186; Perkins a. a. O. II, p. ig3; Fulin-Molmenti
a. a. O., p. 357; Zanetti, Delle origini di alcune arti principali appresso i veneziani, Venedig 1841, p. 81; G. Schnaase,
Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter V (Düsseldorf 1876), S. 473; Pompeo Molmenti, Storia dt Venezia nella Vita
privata I (Bergamo 1905), p. 370; G. Pauli, Venedig, «Berühmte Kunststätten II», S. 60: «Geist einer liebevolleren Betrach-
tung der Natur (!)»; Cicerone, X. Aufl., S. 427.
 
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