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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0120
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I I 2

Leo Planiscig.

als den des glorreichen Feldherrn zu betrachten. Zwischen den Konsolen wurde während des XVI.
Jahrhunderts eine schwulstige Lobinschrift1 angebracht, die ganz mit dem rekonstruktiven und glorifi-
katorischen Geiste Venedigs — immer beflissen, die Großen des Vaterlandes zu verherrlichen, —
übereinstimmt. Die Stilmerkmale der Reliefs stimmen nicht mit dem Todesjahr des Contarini überein.
Andererseits stehen sie qualitativ zu hoch, um einem zurückgebliebenen Künstler zugeschrieben zu
werden. Gabelentz, der an dem Jahr i383 festhält, glaubt in der reichen Fältelung der Gewänder
und in den besonders fein ausgeführten Köpfen einen Fortschritt gegenüber der ersten Hälfte des Jahr-
hunderts erblicken zu können. Daß er sich irrt, beweisen die Figuren am Gradenigo-Sarkophag
sowie jene am Portal von S. Lorenzo in Vicenza. Sowohl für den thronenden Christus als auch
für die Verkündigungsfiguren wurden hier genug Beispiele angeführt, die mit diesen völlig über-
einstimmen; es unterliegt also keinem Zweifel, daß dieses Werk zwischen den Jahren 1340—1350
entstanden ist.

Mögen diese Beispiele für die Verbreitung des Motives des thronenden Christus zeugen sowie
für dessen stilistische Behandlung, die trotz der verschiedenen Qualitätsstufen (wie bei den ähnlichen
Madonnenskulpturen) den gemeinsamen venezianisch-autochthonen Charakter aufweist, einen
Charakter, der sich ungefähr um 1340 bildet und von da an der venezianischen Skulptur ein
nationales Gepräge verleiht.

Mit den Architravskulpturen von Vicenza ist die Vorderseite eines Sarkophags in der
Deila Torre-Kapelle der Basilika von Aquileja (Fig. 78) in Parallele zu stellen. Er soll an-
geblich den Patriarchen Ludwig della Torre bergen. Ob er wirklich die leiblichen Reste dieses
1365 verstorbenen Patriarchen bewahrt, kann mit Sicherheit weder behauptet noch bestritten werden,
da keine Inschrift und kein darauf bezügliches Dokument bekannt ist. Jedenfalls gehört er dem
Stile nach der jetzt besprochenen Richtung an.2 Ein rechteckiger Kasten, der auf zwei Konsolen
auf dem Boden ruht. In der Mitte der Vorderseite unter einem Baldachin der thronende Christus,
mit der Rechten segnend, die Linke auf ein Buch gestützt; zwei Engel ziehen die Vorhänge des Balda-
chins zur Seite. An den Seiten des Mittelreliefs je drei spitze kleeblattförmige Bogen, unter den äußeren
die übliche Verkündigungsdarstellung, unter den nächsten die Wappen der Familie Deila Torre,
hinter denen betende Engel hervorschauen: das typische, im venezianischen Tre- und Quattrocento
sehr häufig vorkommende Motiv des Votivreliefs. Unter den Bogen zur Seite des thronenden
Christus je eine kniende Figur; wahrscheinlich haben in diesem Sarkophag gleichzeitig zwei Mit-
glieder der Familie Della Torre ihre letzte Ruhestätte gefunden.

Die Komposition der Vorderseite ist jener des Architravs zu Vicenza sowohl in der Bogen-
stellung, die in ihrer Mitte den Baldachin mit dem thronenden Christus einschließt (ein Unterschied
nur in der Bogenform: Rundbogen in Vicenza, Spitzbogen in Aquileja), als auch in der Verwen-
dung des Baldachins mit den beiden Engeln äußerst ähnlich. Auch stilistisch stehen die beiden
Christusfiguren einander sehr nahe; sie zeigen die gleiche Kopfbildung, die gleiche Faltenbehand-
lung an den Gewändern.

Die Halbfiguren von Heiligen, Propheten und Aposteln, die zwischen Ranken an den Tür-
pfosten und am Tympanonbogen des Portals von Vicenza angebracht sind, erinnern stilistisch an
die Halbfiguren des Gradenigo-Sarkophages sowie an jene Christus-Reliefs, die in diesem Kapitel

1 Diese Inschrift lautet:

HIC SACER ANDREAS STIRPS CONTARENA MORAT
DVX PATRIAE PRAECIBVS SENIOR QVI IANVA CIVES
MARTE TVOS FVNDENS ET VICTOR CLASSE POTIT
AMISSAM VENETO CLVCIAM PACEMQ REDVXIT
MCCCLXVII ■ DVX CREATVS
MCCCLXXXII • IN COELVM SVBLATVS

Der Charakter der Schrift ist jener des XVI. Jahrhunderts.

2 Lanckoronski a. a. O., S. 97; F(ranz) Graf C(oronini), Aquilejas Patriarchengräber, Wien 1867.
 
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