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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0137
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Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert.

des Giovanni Pisano gegolten.1 Als solches bringen ihn auch Crowe und Cavalcaselle2 und Rey-
mond.3 Die zufällige Aufstellung der Madonnenstatue Giovannis auf dem Baldachin, die spätere
Deutung ihrer Aufschrift und deren Beziehung auf das Grabmonument haben diesen Irrtum herbei-
geführt. Dazu kam noch das bereits angeführte Testament Enricos.4 Da aber dieses keine Be-
schreibung des Grabdenkmales sondern nur die Angabe enthält, Enrico wolle in dem Sarkophag
begraben werden, den er sich bei Lebzeiten hatte errichten lassen, ist man keineswegs gezwungen,
das heutige Grabmonument als das ursprüngliche zu betrachten, zumal stilistische Gründe entschie-
den dagegen sprechen. Vielleicht darf man in der stehenden Statue des Enrico (Arena-Kapelle,
Sakristei) ein Fragment des ursprünglichen Monumentes erkennen, das in späterer Zeit wahrschein-
lich zerstört und durch ein neues ersetzt wurde. Diese Erneuerung soll nach der Meinung Mos-
chettis,5 der sich auch Venturi6 und die Bearbeiter des Cicerone 7 anschließen, um das Jahr i36o
stattgefunden haben.8

Hier soll nicht das, was Moschetti über die Stilähnlichkeit zwischen den Carrara-Figuren und
jener des Scrovegni gesagt hat, wiederholt werden. Viel besser als geschriebene Worte erbringt eine
Zusammenstellung photographischer Details dieser Werke den Beweis für die Richtigkeit seiner An-
nahme (Fig. 85).

Die genannten Autoren, die sich mit der B*eschreibung und mit der Stilanalyse dieses Sarko-
phags beschäftigten, haben es aber unterlassen, die beiden Engelsfiguren, die die Vorhänge
des Paradebettes halten, stilistisch näher zu untersuchen. Das Motiv des Paradebettes — das hier
in seiner ursprünglichen Form wiederum auftritt — kann auf den toskanisch-sienesischen Einfluß
zurückgeführt werden und ist für unsere Zeit nicht etwas Vereinzeltes, was zu zeigen bei der Be-
sprechung des Grabmonumentes Andrea Dandolos (1354) in S. Marco noch Gelegenheit sein wird.
Die beiden Engel sind aber nicht Wrerke des Trecento. Der Künstler (und es war ein her-
vorragender Künstler: die Qualität dieser Figuren steht sehr hoch), der sie ausführte, muß durch
die florentinische Kunst am Anfang des XV. Jahrhunderts gegangen sein und den Stil des
Lorenzo Ghiberti aufgenommen haben; denn anders sind sie stilistisch nicht zu erklären. Daß
am Anfang und während der ersten Hälfte des Quattrocento ein neuer toskanisch-florentinischer
Einfluß die Skulptur Oberitaliens und speziell jene Venedigs in neue Bahnen lenkte, ist aus einer
großen Reihe uns erhaltener Werke — die stilistisch mit den Engelsfiguren des Scrovegni-Sarko-
phages auf gleicher Stufe stehen — zu ersehen. Hier seien erwähnt: das Portaltympanon der
Cappella Corner in S. M. dei Frari zu Venedig (Fig. 86), wo die thronende Madonna mit
dem Kinde und zwei adorierenden Engeln dargestellt ist; ein Altarvorsatz in S. Marco (Fig. 87)
mit zwei knienden Engeln, die zur Seite eines Kreuzes Rauchfässer schwingen; und um auch außer-
halb Venedigs — wo doch der toskanische Einfluß so auffallend in der Marmorwiederholung des
Ghibertischen Konkurrenzreliefs mit dem Opfer Abrahams an einem der neueren Bogen von S. Marco

1 Siehe Kap. V, S. 70.

2 Crowe und Cavalcaselle a. a. O. III, S. 127.

3 M. Reymond, La sculpture florentine, Bd. I.

4 Siehe Kap. V, S. 70.

5 A. Moschetti, La cappella degli Scrovegni etc., a. a. O.
' Venturi a. a. O. IV, p. 762.

7 Cicerone (X. Aufl.), S. 410 und 428.

8 Daß das Grabmal des Enrico Scrovegni ein Werk Giovannis sei, wurde bereits von Schnaase, Geschichte der bil-
denden Künste im Mittelalter V (Düsseldorf 1876), S. 34.), angezweifelt, jedoch damals als pisanisch beeinflußt, im Stile dem
Andrea verwandt bezeichnet. Auch Perkins a. a. O. I, p. 83, zweifelte daran. Sauerlandt a. a. 0. und Justi a. a. O. sind
gleichfalls der Ansicht, es handle sich hier um «einen viel jüngeren Künstler». Moschetti, La cappella etc., a. a. O. nahm die
Frage von neuem auf und kam zu dem Schlüsse, das Grabmal stamme aus der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts, meinte
aber, weder in Venedig noch im Veneto ein Werk gefunden zu haben, das man diesem an die Seite stellen könnte. Kurz
nach seiner Publikation entdeckte aber Moschetti eine auffallende Verwandtschaft zwischen der Figur des Verstorbenen am
Scrovegni-Grab und den Figuren des Jacopo und Ubertino da Carrara, was ihn bestimmte, auch das Arena-Grab dem An-
dreolo de Sanctis zuzuschreiben: L'Arte, Rom 1904, p. 387. Die neue Bestimmung wurde von Venturi angenommen und
wir finden sie auch im Cicerone (X. Aufl.) vertreten.

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