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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0141
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Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert.

j.33

und derselben Hand halten. Begreiflicherweise fragen wir uns, ob wirklich Andreolo die Nischen-
figuren der Kapellenfassade ausgeführt hat. Diese Skulpturen haben nichts mit jenen der Carrara-
Gräber gemeinsam und gehören einer anderen Kunstrichtung an. Da sie mehr als zwanzig Jahre
jünger sind, könnte man aber glauben, Andreolo hätte eine große Entwicklung durchgemacht. Da-
gegen spricht aber ihr Qualitätsgrad, der weit niedriger ist als der aller jener Werke, die unter dem
Schilde der De Sanctis-Werkstatt gehen. Ähnliche Statuen haben wir im Laufe der bisherigen
Untersuchung nicht getroffen und es wird auch schwer fallen, für sie im Rahmen der veneziani-
schen Entwicklung eine Vorstufe oder äquivalente Beispiele zu finden. Betrachtet man hingegen
die Produkte der gleichzeitigen florentinischen Skulptur, etwa die Prophetenfiguren an der Südseite
des Campanile, so wird man darin eine stilistische Parallele sowohl für die Heiligen der Fassaden-
wand als auch für jene auf dem Altare finden. Es sind dieselben etwas gedrungenen Gestalten,
die des ausgesprochenen gotischen Schwunges entbehren, mit charakteristischen Flächen zwischen
den Falten der Gewänder, mit dem halboffenen Munde, den mit dem Bohrer bearbeiteten Haaren.
Sie fallen aus dem Rahmen der venezianischen Kunst heraus und lassen, soweit es jene des Altares
angeht, die Vermutung auftauchen, daß ihr Meister Raynaldinus, wenn er auch nicht direkt von
der Toskana stammt, so doch unter einem starken toskanischen Einfluß gestanden sein muß.

Das Gualandi-Gonzati-Dokument nennt freilich ausdrücklich Andreolo als den Künstler, der
die Figuren der Fassadenwand ausführen sollte. Wie kann man ihm aber diese von den Skulp-
turen der Carrara-Gräber so abweichenden Werke lassen? Während im Dokumente große Sorgfalt
darauf verwendet wird, die architektonischen Teile, wie die Säulen, die Bogen, die Gesimse,
die soaxe, die Kapitelle, die weißen und roten Marmorplatten für den Fußboden und für die
Fassade der Kapelle einzeln nach Maß und Material aufzuzählen, sind die fünf Statuen der Fassade
mit wenigen Worten abgetan: man will sie fünf Fuß hoch haben; lieber sollten sie größer sein als
kleiner. Das Interesse des Architekten scheint hier in den Vordergrund gerückt worden zu
sein, eines Architekten, dessen Bestrebungen dahin zielten, seinem Baue einen dekorativen Charakter
zu verleihen, wofür er fünf Statuen brauchte. Einen Bildhauer hätte in erster Linie interessiert,
was für Heiligenfiguren ihm als Aufgabe gestellt würden. Die Namen der Heiligen werden aber
im Vertrage nicht genannt. Schon daraus kann man schließen, daß ihre Bedeutung eine sekundäre
gewesen ist. Nun war aber Andreolo, als er den Bau der Kapelle begann, sicher kein junger
Mensch mehr. Zwanzig Jahre vorher galt er bereits als ein hervorragender Künstler und stand an
der Spitze eines bedeutenden Unternehmens. In den fünf Jahren, die er im Santo arbeitete, konnte
er sicherlich nicht allen Forderungen des Kontraktes vom Jahre 1372 gerecht werden. Das Alter,
dann der Tod müssen seine Arbeit unterbrochen haben, obwohl die Kapelle — wenigstens in ihren
architektonischen Teilen — wie die Inschrift besagt, im Jahre 1376 schon fertig war. Im Jahre 137g
arbeitete Raynaldinus an den Statuen des Altares. Kann er nicht als der Fortsetzer Andreolos in
der Dekoration der Kapelle betrachtet werden?

Andreolo da Venezia aus der Familie de Sanctis starb im Jahre 1377. Im Jahre 1384 nennt
sich sein Sohn in seinem Testamente folgendermaßen: «Johannes lapicida qnondam maistri Andrioli
a Sanctis de confinio Scii Severin.1

Vor der Entdeckung des Biscaro-Dokumentes wurde Andreolo in der Literatur allgemein für
einen Architekten gehalten. Selvatico2 und, ihm folgend, auch Mothes3 gingen so weit, daß sie
zwischen den Gesimsen der S. Felice-Kapelle und jenen einiger venezianischen Paläste eine derartige
Ähnlichkeit zu finden glaubten «da tener Andreolo autore di piü di uno fra quelli di piü vecchia data».

Nach all dem hier Gesagten darf man sich Andreolo als einen Bildhauerarchitekten vor-
stellen, was nicht nur im Trecento sondern auch in den folgenden Jahrhunderten etwas Häufiges
war. Vom Sohne Andreolos, Giovanni de Sanctis, haben wir Kunde aus seinem Testamente

1 Siehe Paoletti di Osvaldo a. a. O., p. 54.

- Selvatico, Süll'architettura etc., a. a. O., p. 119.

3 Mothes a. a. O. 1, S. 228 und 256.
 
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