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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0160
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Leo Planiscig.

sehen, als deren Hauptrepräsentanten Agostino und Agnolo angeführt werden können. Es folgt
daraus, daß zwischen diesen zwei Monumenten die sienesische Umwertung auch in Oberitalien ein-
gedrungen ist, hauptsächlich im Norden, in der Lombardei (siehe die Gräber der Visconti); denn
in Venedig haben wir bisher derartige landschaftlich-erzählende Szenen noch nicht gefunden, ob-
wohl auch hier der sienesische Einfluß stark gewirkt und zu Resultaten geführt hat, die die lom-
bardische Bildhauerei um Bedeutendes überflügeln. Der toskanische Einfluß, mag dieser von Giovanni
di Balduccio oder einem anderen der neuen Richtung angehörenden Künstler nach der Lombardei
gebracht worden sein, wurde dort — wenn auch nicht im gleichen Maße wie in Venedig — in der

einheimischen Art weiter entwickelt. Die Area des Salva-
rino Aliprandi (1344) in S. Marco zu Mailand ist ein
spezifisch lombardisches Produkt, die Frucht einer autochtho-
nen Entwicklung. In der Lombardei aber — wie in Ve-
nedig— hat das repräsentative Element die Vorherrschaft:
der toskanische, novellistisch-erzählende Charakter läßt immer
mehr nach, der landschaftliche Hintergrund verschwindet, die
Szene spielt sich nun vor dem glatten Reliefhintergrund ab,
die Figuren bekommen den Charakter eines ruhigen Seins,
wobei auch langsam jede dramatische Handlung verschwin-
det. Das Grabmal eines Unbekannten in San Marco
zu Mailand möge uns dafür als Beispiel dienen.1

Während der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts fehlt
in Venedig das erzählende Relief mit landschaftlichem Hin-
tergrund gänzlich. Die kaum angedeuteten Landschaften
einiger Madonnenreliefs können nicht in Betracht gezogen
werden: sie bilden bloß eine Dekoration, nicht den Hinter-
grund einer Handlung. Der Grundtypus war der einer im
architektonischen Rahmen eingeschlossenen repräsen-
tativen Skulptur. Die ersten Beispiele von erzählenden
Reliefszenen treten an dem Sarkophag des Andrea Dan-
dolo und an jenem des hl. Isidor auf.

Trotz des bereits festgestellten toskanisch-sienesischen
Einflusses auf die venezianische Skulptur der ersten Tre-
centohälfte haben wir in den Reliefs des hl. Isidor-Sarko-
phags ein Problem vor uns, das nicht ohneweiters aus dem
Werdegang der venezianischen Kunst erklärt werden kann. Es
sind zwei dramatische Szenen, die, ohne die Häufung der Tarlati-Reliefs aufzuweisen, eine genre-
hafte Note beibehalten, die man an der Bronzetür des Andrea da Pontedera vergebens suchen würde.
Dagegen zeigen sich Ähnlichkeiten mit dem Drei-Könige-Relief von Sant'Eustorgio zu Mailand
(Fig. 102, vgl. die eigentümliche Gestaltung des Erdbodens!). Es taucht daher die Frage auf:
Sind die Reliefs der Isidor-Arca unter direktem toskanisch-sienesischen Einfluß entstanden oder
drang dieser Einfluß durch Vermittlung lombardischer Künstler in Venedig ein? Sie ist um so schwerer
zu beantworten, als in der Lombardei in der ersten Trecentohälfte eine konsequente Durchführung
solcher Reliefs festgestellt werden konnte und in den hl. Isidor-Reliefs einheimische, konservative
Elemente wie an den repräsentativen Figuren desselben Sarkophags wahrzunehmen sind. Die schema-
tisch behandelten Haare, die symmetrisch gereihten Locken, mit einem Worte der Stilismus,
kehrten auch bei den Figuren der Reliefs wieder. Und auch in der Landschaft (z. B. in den
Bäumen des Hintergrundes) versucht die dekorative Note die Vorherrschaft zu erlangen. Man kann

Fig. 106. Devotionsrelief.
Venedig, Kreuzgang der Frari-Kirche

1 Abbildung bei Fr. Malaguzzi-Valeri, Milano, Parte Ia : «Italia artistica» XXV, p. 72.
 
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