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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0162
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Leo Planiscig.

sogar ins Kleinliche verfallen. Die Figuren, die den Heiligen ans Kreuz binden, sind der Natur
abgelauscht, während der Krieger mit dem erhobenen Schwert oder das eilende Pferd am Isidor-
Grab auf dem Umweg über Byzanz der Antike entlehnt sind.

An dem Grabmal des Dogen Giovanni Dolfin (j- i36i) in S. S. Giovanni e Paolo
(letzte Kapelle links vom Chor) zu Venedig1 (Fig. io3) treten ebenfalls — aber in einem bereits
veralteten Stile — landschaftlich-erzählende Szenen auf. Der an der Mauer angebrache Sarkophag-
kasten wird von zwei Konsolen getragen. Die
Vorderseite ist wie am Dandolo- und Isidor-
Sarkophag in Nischen eingeteilt; nur daß hier
an Stelle des Rundbogens mit der muschelarti-
gen Füllung ein Spitzbogen getreten ist. Die
Mittelnische wurde durch einen Baldachin er-
setzt, von dem lange, von zwei Engeln ge-
haltene Vorhänge in geraden Falten herunter-
fallen, um die thronende Figur Christi zu zei-
gen. Vor dem Heiland kniet der Doge in
seiner Amtstracht und die Dogaressa. In den
Seitennischen die Verkündigungsfiguren, in
den zwei Mittelfeldern Reliefs mit landschaft-
lich-erzählenden Darstellungen: links die An-
betung der Könige, rechts der Tod Mariä.
Der Stil ist jener der vierziger Jahre. Die Chri-
stusfigur ist aus einer Reihe von Beispielen
bereits bekannt (vgl. das unter a) angeführte
Relief der Estensischen Sammlungen, Fig. 74;
die Köpfe sind identisch). Die beiden den
Vorhang haltenden Engel erinnern an jene
des Dandolo-Paradebettes. Die Verkündigungs-
gruppe hat ihre Vorläufer in den gleichen Fi-
guren der 1348 entstandenen Area des Andrea
Morosini in S. S. Giovanni e Paolo (Fig. 80).
Im ganzen hätten wir also hier ein wenig
interessantes Beispiel zurückgebliebener Kunst
vor uns, wenn nicht die Reliefs jenes Neue
bieten würden, das mit dem Beginne der fünf-
ziger Jahre in Venedig Verbreitung gefunden
zu haben scheint. Zwar ist auch die Szene mit dem Tod Mariä, wie man sie hier vorfindet,
etwas Althergebrachtes und ein in der Tafelmalerei und Skulptur des Due- und Trecento sehr häu-
fig vorkommendes Motiv, das seine Wurzeln in der byzantinischen Kunst hat. Es braucht nur an
die Vorderwand des Francesco Dandolo-Sarkophags aus dem Jahre i33g im Seminario patriar-
cale (Fig. 24) erinnert zu werden, wo ikonographisch dieselbe Darstellung mit ähnlicher Anord-
nung der Figuren vorkommt; nur daß hier Christus nicht die Seele der Mutter in der Gestalt
eines Kindes hält, sondern überhaupt die Figur Christi ausgelassen ist. Um die Bahre der Ma-
donna sind die zwölf Apostel trauernd versammelt. Oberhalb der Szene erscheint, in einer von

1 Sorävia a. a. O. I, p. 101; E. Paoletti, II fiore etc. a. a. 0. II, p. 23y, Selvatico, Süll' architettura etc., p. 147; Mothes
a. a. 0. I, S. 189: «. . . Sarkophag ohne figürlichen Schmuck und ohne künstlerische Bedeutung»(!?); Perkins a. a. O. II,
p. 204; Fulin-Molmenti a. a. O., p. 226; Meyer, Das venez. Grabdenkmal etc. a. a. O., S. 83; Gabelentz a. a. O., S. 246;
L. Rambaldi, La chiesa dei S. S. Giovanni e Paolo e la Cappella del Rosario in Venezia, lo,i3, p. 28. — Das Grabmal befand
sich ursprünglich in der Chorkapelle und wurde entfernt, um dem Grabmal Vendramin Platz zu schaffen.

Fig. 108. Devotionsrelief (i36i).
Venedig, Seminario patriarcale.
 
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