Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0171
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert.

i63

sprochene Relief entstanden zu sein.
Während aber die Madonna vom Semi-
nario in ihrer Tracht (Kopftuch, das das
Gesicht einrahmt und durch einen Knopf
an der Brust befestigt ist) noch an ähn-
liche Motive der vierziger Jahre erinnert,
tritt hier eine neue Auffassung zutage,
die man noch besser an einem weiteren
Beispiel wird verfolgen können.

Vor wenigen Jahren wurde vom Ad-
ministrator des Seminario patriarcale zu
Venedig aus einer dunklen und unbe-
wohnten Lokalität des Hauses eine Ma-
donnenstatuette zutage gefördert und
im Museum des Seminario aufge-
stellt (Fig. 117), ein typisches Beispiel
für die Skulptur der sechziger und sieb-
ziger Jahre. Die aufrechtstehende Madonna
ist vollrund gearbeitet; mit der Linken
stützt sie das halb in ein Tuch gewickelte
Kind, das mit einer Hand nach ihrer
Brust greift, mit der anderen eine Taube
faßt. Wie bei der Griphalcono-Madonna
.— mit der diese viele Züge gemeinsam
hat — endet das Kopftuch nicht mit
einer Schließe an der Brust, sondern fließt
mit einer leichten, immer mehr Schwung
nehmenden Kurve bis an die Bauchgegend
herunter, wo es von der linken Hand
aufgerafft wird. An manchen Stellen ist
die Fältelung des Gewandes sehr reich,
so rechts, wo die Mantelfalten zuerst
senkrecht herunterfallen, dann aber in
charakteristischer Weise sich aufrollen
und sogenannte «Augen» bilden, die für
die Entwicklung der Spätgotik bezeich-
nend sind. Die Tunika legt sich glatt
an die Brust und endet erst unter dem
Mantel in einigen breiten, verhältnismäßig
ruhigen Falten. Wir stehen vor einem
Erzeugnis venezianischer Skulptur,
das bei oberflächlicher Betrachtung fremd,
so^ar aus dem Rahmen der Entwick-
lung gerissen scheint. Wie fern steht
diese Madonna der toskanisch-pisanischen
Kunst! Ein Vergleich mit der Arena-
Madonna des Giovanni zeigt nur noch
eine gewisse Ähnlichkeit im Umriß, da-
gegen einen gewaltigen Unterschied in

Fig. 117. Madonnenstatuette.
Venedig, Seminario patriarcale.
 
Annotationen