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Leo Planiscig.
Stilistisch derselben Gruppe gehören auch die Figuren des Adam und der Eva an der Ecke
des Dogenpalastes, der Meerseite zu (Fig. 127), an. Sicher spate Beispiele unserer Richtung,
wohl am Anfang des XV. Jahrhunderts entstanden, weisen sie alle Merkmale der hier besprochenen
Skulpturen (vgl. damit den Kopf der Eva) auf. Die Kopfbildung Adams verrät zwar die fortge-
schrittene Zeit (Ähnlichkeit mit den Statuen des Urteils Salomons an der gegenüberliegenden
Ecke des Dogenpalastes, nach Venturi1 einem Weik des Florentiners Nanni di Bartolo), die Eva
hat aber das ovale Gesicht, die scharf geschnittenen Augen, den verzogenen, wie zu einem leisen
Lächeln geformten Mund und schließlich auch die so charakteristischen «Schönheitsfalten» am Kinn
mit den Madonnen am Ponte del Para-
diso, am Campanile der Frari-Kirche, mit
den zwei schönen estensischen und auch
mit den aquilejensischen Märtyrerinnen
gemein. Daß auch hier der französische
Einfluß gewirkt hat, ist unverkennbar.
Andererseits aber hat sich an diesen
Skulpturen der neue, am Anfang des
XV. Jahrhunderts in Venedig stark zur
Geltung kommende florentinische Geist
der einheimischen Richtung angepaßt: aus
Werken wie diesem und aus solchen
wie dem Salomons-Urteil ist eine neue,
echt venezianische Kunst entstanden, die
mit den Buons und ihrem Hauptwerk,
den Skulpturen der Porta della Carta,
die Einleitung zu einer neuen Ära der
venezianischen Skulptur bildet.
Diese Beispiele mögen zur Charak-
teristik der ersten am Anfang dieses Ka-
pitels erwähnten Strömungen genügen.
Der französische Einfluß hat eine
neue Skulptur wachgerufen; er hatte
zwar nicht wie die toskanischen Neue-
rungen der zwanziger und dreißiger Jahre einen gewaltigen Umschwung zur Folge (dazu war der
Gebende zu schwach und der Empfangende zu stark), wurde jedoch nach einer bestimmten Richtung
stilbildend.
Ein mächtiger Konkurrent stellte sich aber dieser Einflußwelle entgegen und wirkte zum Teil
auch hemmend auf deren breitere Entfaltung: die Kunst Nino Pisanos, die um die fünfziger
Jahre herum in Florenz und in der Toskana die Alleinherrschaft innehatte, erstreckte ihre Einfluß-
sphäre nun auch über die venezianischen Länder. Der Charakterzug der zweiten Richtung in der
Skulptur zwischen i36o und i38o ist durch die Kunst dieses Sohnes Andreas da Pontedera
gegeben.
Das Hauptbeispiel dafür ist das Grabmonument des Dogen Marco Cornaro in SS. Gio-
vanni e Paolo zu Venedig, nach 1367 (Figg. 128—12g). Schon die architektonische Gestaltung
1 Venturi a. a. O. VI, p. 313. Auf S. 29 f. nennt Venturi die Adam- und Eva-Figuren sowie auch jene der Trunken-
heit Noahs an der Ecke gegen den Ponte dei Sospiri zu Werke lombardisch-nordischer Kunst. Sein Vergleich mit Figuren des
Mailänder Domes (die er nicht spezifiziert) stimmt nicht. Das Venezianische unserer Werke ist evident und ergibt sich aus
der hier besprochenen Richtung französisierender Art. Ihr gehört auch die Justitia-Figur in einem Medaillon zwischen den
Balkonsäulcn das Palazzo Ducale gegen die Piazzetta zu an. Diese thronende Figur ist mit der Estensischen Madonna
(Taf. XXII) zu vergleichen, obwohl sie sicherlich später entstanden ist.
Fig. 125. Die vier aquilejensischen Jungfrauen.
Aquileja, Basilika.
Leo Planiscig.
Stilistisch derselben Gruppe gehören auch die Figuren des Adam und der Eva an der Ecke
des Dogenpalastes, der Meerseite zu (Fig. 127), an. Sicher spate Beispiele unserer Richtung,
wohl am Anfang des XV. Jahrhunderts entstanden, weisen sie alle Merkmale der hier besprochenen
Skulpturen (vgl. damit den Kopf der Eva) auf. Die Kopfbildung Adams verrät zwar die fortge-
schrittene Zeit (Ähnlichkeit mit den Statuen des Urteils Salomons an der gegenüberliegenden
Ecke des Dogenpalastes, nach Venturi1 einem Weik des Florentiners Nanni di Bartolo), die Eva
hat aber das ovale Gesicht, die scharf geschnittenen Augen, den verzogenen, wie zu einem leisen
Lächeln geformten Mund und schließlich auch die so charakteristischen «Schönheitsfalten» am Kinn
mit den Madonnen am Ponte del Para-
diso, am Campanile der Frari-Kirche, mit
den zwei schönen estensischen und auch
mit den aquilejensischen Märtyrerinnen
gemein. Daß auch hier der französische
Einfluß gewirkt hat, ist unverkennbar.
Andererseits aber hat sich an diesen
Skulpturen der neue, am Anfang des
XV. Jahrhunderts in Venedig stark zur
Geltung kommende florentinische Geist
der einheimischen Richtung angepaßt: aus
Werken wie diesem und aus solchen
wie dem Salomons-Urteil ist eine neue,
echt venezianische Kunst entstanden, die
mit den Buons und ihrem Hauptwerk,
den Skulpturen der Porta della Carta,
die Einleitung zu einer neuen Ära der
venezianischen Skulptur bildet.
Diese Beispiele mögen zur Charak-
teristik der ersten am Anfang dieses Ka-
pitels erwähnten Strömungen genügen.
Der französische Einfluß hat eine
neue Skulptur wachgerufen; er hatte
zwar nicht wie die toskanischen Neue-
rungen der zwanziger und dreißiger Jahre einen gewaltigen Umschwung zur Folge (dazu war der
Gebende zu schwach und der Empfangende zu stark), wurde jedoch nach einer bestimmten Richtung
stilbildend.
Ein mächtiger Konkurrent stellte sich aber dieser Einflußwelle entgegen und wirkte zum Teil
auch hemmend auf deren breitere Entfaltung: die Kunst Nino Pisanos, die um die fünfziger
Jahre herum in Florenz und in der Toskana die Alleinherrschaft innehatte, erstreckte ihre Einfluß-
sphäre nun auch über die venezianischen Länder. Der Charakterzug der zweiten Richtung in der
Skulptur zwischen i36o und i38o ist durch die Kunst dieses Sohnes Andreas da Pontedera
gegeben.
Das Hauptbeispiel dafür ist das Grabmonument des Dogen Marco Cornaro in SS. Gio-
vanni e Paolo zu Venedig, nach 1367 (Figg. 128—12g). Schon die architektonische Gestaltung
1 Venturi a. a. O. VI, p. 313. Auf S. 29 f. nennt Venturi die Adam- und Eva-Figuren sowie auch jene der Trunken-
heit Noahs an der Ecke gegen den Ponte dei Sospiri zu Werke lombardisch-nordischer Kunst. Sein Vergleich mit Figuren des
Mailänder Domes (die er nicht spezifiziert) stimmt nicht. Das Venezianische unserer Werke ist evident und ergibt sich aus
der hier besprochenen Richtung französisierender Art. Ihr gehört auch die Justitia-Figur in einem Medaillon zwischen den
Balkonsäulcn das Palazzo Ducale gegen die Piazzetta zu an. Diese thronende Figur ist mit der Estensischen Madonna
(Taf. XXII) zu vergleichen, obwohl sie sicherlich später entstanden ist.
Fig. 125. Die vier aquilejensischen Jungfrauen.
Aquileja, Basilika.