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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Eisler, Max: Der Raum bei Jan Vermeer
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0303
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Der Raum bei Jan Vermeer.

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des Ausländischen verlangenden Zeitströmung, die hier in romanistischen Raumwerken des XVI. Jahr-
hunderts zum Ausdruck kam. Man vergegenwärtige sich auch die gewaltige Raumsprache, die
Haarlem, das mit das meiste für die Freiheit des Landes getan hatte, in Hals und Ruisdael, die
fast gewalttätige, die Amsterdam, die alles überflügelnde Metropole, im Werke des Segers und
Rembrandts gefunden hatte. Und man halte dagegen die Intensität der Delfter Fassung. Das Delft
der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts war ein still treibender Ort geworden, von gefestigter,
aber nicht im starken Tatendrang aufstrebender sondern im Erbbesitz genügsam verweilender
Lebensstimmung. Nicht Bewegung sondern Beharrung, nicht Handlung sondern Dasein, nicht aus-
langender Auftrieb sondern ruhsame Beschaulichkeit hatten hier ihre abseitige Heimstätte gefunden.
Und Vermeer war ein Delfter, nach Geburt und Gesinnung. Seine Räume sprechen von jener selbst
gezogenen, nahen Begrenzung, von jener hellsichtigen Klarheit, die in den Köpfen seiner Mitbürger
als nüchterne Verständigkeit hauste, von jenem Gefallen am Blanken und Festlichen, das dem
reichen und satten Stadtwesen entsprach, und von jener betrachtenden Daseinsfreude, die in den
patrizischen Stuben zu Hause war. Aber all das, was hier als entwerteter Lebensinhalt erschien, war
im Künstler zur äußersten Möglichkeit seiner Schönheitsform gediehen. Und in das von Zeit und
Ort gebundene Raummaß war genug innerer, geklärter Bewegung eingefangen. Wenn man will,
haben jene Gegebenheiten des Kulturganges auch teilgenommen an der Entwicklung dieses Rhyth-
mus: Kaum ein Menschenalter lag zwischen seiner offenen, freiströmenden Bewegung im Jugend-
werke und dem straff gezügelten der letzten Reife. Und in eben diesem Menschenalter war Delft
vom nachwirkenden Lebensdrang der Freiheitskämpfe zum genießenden Stillstand vorgerückt. In
abgeklärter Spiegelung erschien auch hier das Leben von der Kunst gebannt und im Gleichnis zu
ewiger Gültigkeit und Wirkung erhoben.
 
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