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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 34.1918

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I. Teil: Abhandlungen
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Baldass, Ludwig: Die niederländische Landschaftsmalerei von Patinir bis Bruegel
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https://doi.org/10.11588/diglit.6169#0167
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Die niederländische Landschaftsmalerei von Patinir bis Bruegel.

'55

durch Werke Pieter Aertszens inspiriert zu sein. Dennoch wirken Bruegels Gemälde wie Offen-
barungen. Eine überwältigende Lebenswahrheit haftet jeder Einzelheit an; das Ganze aber ist so
festgefügt, da(3 nirgends auch nur eine Kleinigkeit zu viel oder zu wenig ist. Die letzten Mög-
lichkeiten der Zeit sind zur vollsten Entfaltung gebracht.

Auf den parabolischen Gemälden von 155g und 1560 in Wien und Berlin ist die Landschaft
noch fast gänzlich auf den Hintergrund beschränkt. Hier aber verrät das Seegestade des Berliner
Sprichwörterbildes 1 und die Stadtmauer mit den Bäumen auf den Wiener Kinderspielen schon
eine malerische Freiheit der Naturwiedergabe, die das XVII. Jahrhundert vorahnt. Auf dem Stadt-
bild des Wiener Karnevals ist die Beleuchtung einer bestimmten Tages- und Jahreszeit klar heraus-
geholt. Die intensive Beobachtung des Sonnenlichtes am frühen Morgen zeichnete bereits den
Vordergrund des frühen Brüsseler Bildes mit dem Sturz des Icarus aus. Noch viel einheitlicher
ist auf der Wiener Kreuztragung von 1564 die Stimmung eines stürmischen Frühsommernach-
mittags, wenn plötzlich Sonnenstrahlen den schwerbedeckten Himmel durchbrechen, wiedergegeben.
Es ist dabei bezeichnend, daß Bruegel nicht etwa dem Gegenstand entsprechend eine Osterstimmung
sondern einen Junitag wiedergibt. Trägt doch der eine Knabe reife Kirschen in seiner Mütze.
Schlechtweg atmosphärische Meisterstücke sind die beiden Winterbilder der Volkszählung in
Bethlehem in Brüssel von 1566 mit dem roten Feuerball der untergehenden Dezembersonne und
des Bethlehemitischen Kindermordes in Wien, über dem der graue Himmel eines trüben Januar-
morgens lastet. Daß Bruegel überhaupt der erste Maler ist, von dem wir wirkliche Winterdar-
stellungen auf Tafelbildern besitzen, ist schon öfters betont worden.

Zu den berühmtesten Schöpfungen des Meisters gehören die vier 1565 entstandenen Land-
schaftsbilder2 in Wien und Raudnitz, die wie die 1566 datierte Radierung der Hasenjagd den
in der großen Stichfolge ausgeprägten Typus der Weltlandschaft wieder aufnehmen. Was diese
großen Landschaftsgemälde, die in der malerischen Behandlung des Terrains noch den Einfluß des
Braunschweiger Monogrammisten aufweisen, so sehr aus allen Schöpfungen des XVI. Jahrhunderts
heraushebt, ist, daß sie so unendlich organisch erscheinen, daß nicht zuletzt durch die Kunst der
atmosphärischen Zusammenfassung3 das kosmische Vielerlei, aus dem sie zusammengesetzt sind,
sich zu einem einheitlichen Bilde vereint. In Bruegels Werken offenbart sich nicht nur einer
der größten Stilkünstler aller Zeiten sondern auch ein eminenter Kolorist. Die Herrschaft der
Lokalfarbe in der Landschaft ist endgültig überwunden und die einer überaus reichen Tonmalerei
gesichert.

In der atmosphärischen Wirkung geht über die großen Landschaftsbilder noch hinaus die
kleine Landschaft mit der Elster auf dem Galgen von 1568 im Darmstädter Museum. Auf dieser

S. 258) erwähnt eine sehr artige Bauernhochzeit in Ölfarbe bei Hermann Pilgrims in Amsterdam, die vielleicht mit dem
Wiener Bilde identisch ist. Unter den datierten Bildern zeigt die nächsten Parallelen das Schlaraffenland von 1567 in der
Sammlung von Kaufmann. Doch gehen die Wiener Bilder stilistisch über die in diesem Gemälde erreichte Stufe noch hinaus.

1 Publiziert von Friedländer: Zeitschrift f. bild. Kunst, N. F. XXV, S. 9 f.

2 Es erscheint wahrscheinlich, daß es sich doch um Darstellung der vier Jahreszeiten handelt. . Bei einer Reinigung
der heimkehrenden Herde (Herbst), die gelegentlich der Abnahme der falschen Anstückung am unteren Bildrande vorgenom-
men wurde, fand sich in der linken unteren Ecke Signatur und Jahreszahl: BRVEGEL MDLXV. Dieselbe Bezeichnung und
das gleiche Datum konnte bei den Jägern im Schnee (Winter) unten in der Mitte aufgedeckt werden. Der düstere Tag
(Frühjahr) zeigt nur mehr links unten die nicht mehr entzifferbaren Reste der Signatur und von der Datierung noch
die Zahl V. Die Heuernte (Sommer) konnte ich nicht untersuchen. Gegen die Darstellung von Jahreszeiten scheint der Um-
stand zu sprechen, daß im Inventar der Sammlung Erzherzog Leopold Wilhelms fünf gleich große Stücke, übrigens auch
als Jahreszeiten, erwähnt werden (s. Jahrbuch I, Reg. 495, f. 255). Es ist aber sehr wohl möglich, daß wie in Mcchels
Katalog der Belvedere-Galerie von 1783 die Kinderspiele als «Frühling» mitgezählt wurden. So bleibt eigentlich kein
Grund, anzunehmen, daß es sich um Monatsbilder handelt. Unserem modernen Empfinden widerspricht es, in dem «düste-
ren Tag», der eine Märzstimmung wiedergibt, die Wiedergabe des Frühlings zu sehen. Diesem Einwand wäre aber
gegenüberzuhalten, daß es richtige Frühlingsbilder mit blühenden Wiesen, Sträuchern und Bäumen in der niederländischen
Kunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts überhaupt nicht gibt.

3 Vgl. Karel van Mander, Van het Landtschap, Kap. 8 (Schilder-consten Grondt), Strophe 19 und 25, Fol. 35' und 36
der Ausgabe von 1604 des Schilder-Boeck.
 
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