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E. Tietze-Conrat Unbekannte Werke von G. R. Donner
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die Linke gegen die stark hervortretende Hüfte
gestemmt hat. Der unschön schmale Körper in
seiner starken Drehung mit den hohen Schulter-
muskeln, die den Nacken verwachsen erscheinen
lassen, steht in ausgesprochenem Gegensatz zu
jenen breitbrüstigen Figuren, die Donner ihre Ent-
stehung verdanken. Doch dürfte diese Statue
unter dem Einfluß oder nach einer Skizze des
Meisters gearbeitet sein; denn das Stellungsmotiv
mit dem energischen Aufstützen der rechten Hand,
das die Streckung des Armes und das Heraus-
treten der Schulter veranlaßt, finden wir ähnlich
bei dem Adam aus Giulianis Werkstatt in der
Kalvarienbergkapelle in Heiligenkreuz, während
die Beine bedecken, zeigen den Einfluß des
Meisters.
Die dritte der Figuren, der Sommer (Abb. 97),
wird durch eine kräftige Frau dargestellt, die im
linken Arm ein großes Ahrenbündel trägt, wäh-
rend die rechte Fland eine Sichel hält. Sie ist in
ein Gewand gekleidet, das über die vollen Schul-
tern hinabgeglitten ist und die starke Brust un-
bedeckt läßt. Das Gewand ist in großen Flächen
gearbeitet, die das volle Licht haben und nur
zwischen den Beinen und über dem bloßen rechten
Knie durch Falten unterbrochen wurden. Die
Modellierung der Hände und Füße ist etwas derb,
doch kann dies auf das rohe Material zurückge-
Fig. 99 Leichnam Christi von der Grablegung im Dominikanerkloster in Wien
andere gleichzeitige Werke dieses Motiv mehr
spielerisch verwenden.1)
Die jugendliche Mädchengestalt des Früh-
lings (Abb. 96), in ein Gewand gekleidet, das die
zarten Formen durchblicken läßt, steht in starker
Drehung des Körpers mit so sehr ausgebogener
Hüfte, wie wir es bei Donner niemals finden.
Auch die schlechte Modellierung des Kopfes spricht
gegen eine eigenhändige Arbeit. Doch dürfte auch
diese Figur auf einen Schüler Donners zurück-
gehen, denn die großflächig'e Behandlung des Ge-
wandes, insbesondere die einfachen Falten, welche
b Eine der Figuren z. B. im Stiegenhaus des Palais
Kinsky auf der Freyung zeigt das gleiche Motiv; doch ist
es mehr ein Berühren der Stütze, während der Arm im
Ellenbogen gebogen bleibt.
führt werden, das für eine ins Detail gehende Aus-
führung wenig geeignet ist. Der Kopftypus ist
charakteristisch für die späteren Frauenfiguren des
Meisters und findet sich bei den Flußpersonifika-
tionen des Brunnens am Neuen Markt, beim An-
dromedabrunnen im alten Rathaus, bei den beiden
Marmorreliefs im Hofmuseum und der Holzgruppe:
Maria und Magdalena im Dominikanerkloster, die
noch am Schluß zur Besprechung gelangen wird.
Er zeigt eine niedre schmale Stirn, eine etwas
flache Nase mit breit angesetzten Nasenflügeln,
einen klar gezeichneten Mund mit stark markierten
Mundwinkeln und ein sehr kurzes Kinn. Auch
die Frisur kehrt häufig wieder, die um die Stirn
fallenden kurzen Haare und die lange Locke, die
sich aus den auf gesteckten Zöpfen gelöst hat und
E. Tietze-Conrat Unbekannte Werke von G. R. Donner
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die Linke gegen die stark hervortretende Hüfte
gestemmt hat. Der unschön schmale Körper in
seiner starken Drehung mit den hohen Schulter-
muskeln, die den Nacken verwachsen erscheinen
lassen, steht in ausgesprochenem Gegensatz zu
jenen breitbrüstigen Figuren, die Donner ihre Ent-
stehung verdanken. Doch dürfte diese Statue
unter dem Einfluß oder nach einer Skizze des
Meisters gearbeitet sein; denn das Stellungsmotiv
mit dem energischen Aufstützen der rechten Hand,
das die Streckung des Armes und das Heraus-
treten der Schulter veranlaßt, finden wir ähnlich
bei dem Adam aus Giulianis Werkstatt in der
Kalvarienbergkapelle in Heiligenkreuz, während
die Beine bedecken, zeigen den Einfluß des
Meisters.
Die dritte der Figuren, der Sommer (Abb. 97),
wird durch eine kräftige Frau dargestellt, die im
linken Arm ein großes Ahrenbündel trägt, wäh-
rend die rechte Fland eine Sichel hält. Sie ist in
ein Gewand gekleidet, das über die vollen Schul-
tern hinabgeglitten ist und die starke Brust un-
bedeckt läßt. Das Gewand ist in großen Flächen
gearbeitet, die das volle Licht haben und nur
zwischen den Beinen und über dem bloßen rechten
Knie durch Falten unterbrochen wurden. Die
Modellierung der Hände und Füße ist etwas derb,
doch kann dies auf das rohe Material zurückge-
Fig. 99 Leichnam Christi von der Grablegung im Dominikanerkloster in Wien
andere gleichzeitige Werke dieses Motiv mehr
spielerisch verwenden.1)
Die jugendliche Mädchengestalt des Früh-
lings (Abb. 96), in ein Gewand gekleidet, das die
zarten Formen durchblicken läßt, steht in starker
Drehung des Körpers mit so sehr ausgebogener
Hüfte, wie wir es bei Donner niemals finden.
Auch die schlechte Modellierung des Kopfes spricht
gegen eine eigenhändige Arbeit. Doch dürfte auch
diese Figur auf einen Schüler Donners zurück-
gehen, denn die großflächig'e Behandlung des Ge-
wandes, insbesondere die einfachen Falten, welche
b Eine der Figuren z. B. im Stiegenhaus des Palais
Kinsky auf der Freyung zeigt das gleiche Motiv; doch ist
es mehr ein Berühren der Stütze, während der Arm im
Ellenbogen gebogen bleibt.
führt werden, das für eine ins Detail gehende Aus-
führung wenig geeignet ist. Der Kopftypus ist
charakteristisch für die späteren Frauenfiguren des
Meisters und findet sich bei den Flußpersonifika-
tionen des Brunnens am Neuen Markt, beim An-
dromedabrunnen im alten Rathaus, bei den beiden
Marmorreliefs im Hofmuseum und der Holzgruppe:
Maria und Magdalena im Dominikanerkloster, die
noch am Schluß zur Besprechung gelangen wird.
Er zeigt eine niedre schmale Stirn, eine etwas
flache Nase mit breit angesetzten Nasenflügeln,
einen klar gezeichneten Mund mit stark markierten
Mundwinkeln und ein sehr kurzes Kinn. Auch
die Frisur kehrt häufig wieder, die um die Stirn
fallenden kurzen Haare und die lange Locke, die
sich aus den auf gesteckten Zöpfen gelöst hat und