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E. Tietze-Conrat Unbekannte Werke von G. R. Donner
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hörigen Gruppe kein direkter Hinweis auf eine
bestimmte Arbeit des Meisters, aber Details in
der Behandlung und die Stellung der beiden Fi-
guren sprechen dafür, daß wir auch diesmal eine
eigenhändige Arbeit Donners vor uns haben. Die
Gruppe (Abb. 69) stellt die beiden Männer dar,
Nikodemus und Josef von Arimathia, die den
großen behauenen Stein — er ist wie der Boden
dunkel gestrichen — zum Grab des Herrn schie-
ben. Der eine ist mit einem Hemd und einer
kurzen Hose bekleidet, die kaum übers Knie
reicht, die Füße stecken in Sandalen, der Mantel
ist heruntergefallen und zwischen dem Stein und
den Beinen eingeklemmt hängen geblieben. Die
große Anstrengung läßt Sehnen und Muskel an
den bloßen Unterarmen und nackten Beinen stark
hervortreten.
Der andere hat seinen Mantel umbehalten,
der über beiden Schultern zusammengeknüpft ist;
er steht fast aufrecht und trägt das Haupt mit
einem Turban bedeckt, der zurückgeschoben ist und
die hohe mächtige Stirn frei läßt. Das zur Brust
gesenkte Haupt mit der langen Nase und dem
runden Schädel finden wir in dem Relief1) „Die
Kreuzabnahme“ ähnlich bei dem Alten, der auf
der Leiter steht und die Nägel aus den Händen
des Herrn gezogen hat. Der andere Alte dieses
Reliefs, der unten steht und mit dem Jüngling
den Leichnam des Herrn in seinen Armen auf-
nimmt, zeigt ähnlich schlichtes Haar und unter
der langen Nase einen ähnlich eingekniffenen
Mund wie der barhäuptige Alte der Holzgruppe.
Auch kommt es häufig vor, daß Donner den breiten
Rücken seiner Figuren zeigt; bei dem oben zi-
tierten Relief ist der Jüngling in Rückenansicht
gebildet, auf den beiden Skizzen im Münzamt
„Christus vor Pilatus“ und das „Opfer Davids“
(Abb. 70) sind gleichfalls zwei Krieger, die dem
Beschauer den Rücken zuwenden, und bei den Re-
liefs in der Elemosynariuskapelle in Preßburg
findet sich dasselbe Motiv.
Die Gruppe Nikodemus’ und Josephs von
Arimathia steht zur Gruppe der beiden Marien
in ähnlichem Verhältnis wie die männlichen Fluß-
götter zu den weiblichen Personifikationen, die
b Dieses Relief in Ton kam aus dem Nachlaß des
Mathaeus Donner, Raphaels Bruder, ins Münzamt.
den Rand des Brunnens auf dem Neuen Markt
schmücken. Die freie Kunst, zu der sich Donner
durch Naturstudium bei seinen männlichen Figuren
durchgearbeitet hat, steht im Gegensatz zu der
mehr eintönigen Behandlung seiner weiblichen
Figuren, bei denen er an dem gewohnten Typus
in konservativer Weise festhält. Die Entwicklung,
die zwischen dem Mirabellparis und dem Flußgott
der Traun liegt, steht der gleichlaufenden Reihe
Fig. 102 Die Providentia,
Mittelfigur des Brunnens am Neuen Markt zu Wien
gegenüber, die von der Klosterneuburger Madonna
zur Dominikaner Mariengruppe führt. Der barocke
Künstler des Paris ist unabhängiger Naturalist
geworden, der in der Auffassung des Nackten
seiner Zeit weit voraus ist; bei seinen weiblichen
Figuren aber bleibt Donner bei dem Typus, den
er in seiner Jugend bei Giuliani1) gesehen und
*) Man vergleiche die Frauen der Giulianischen Kreuzi-
gung im Dormitorium und der Kreuzgangskulpturen in
Heiligenkreuz.
E. Tietze-Conrat Unbekannte Werke von G. R. Donner
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hörigen Gruppe kein direkter Hinweis auf eine
bestimmte Arbeit des Meisters, aber Details in
der Behandlung und die Stellung der beiden Fi-
guren sprechen dafür, daß wir auch diesmal eine
eigenhändige Arbeit Donners vor uns haben. Die
Gruppe (Abb. 69) stellt die beiden Männer dar,
Nikodemus und Josef von Arimathia, die den
großen behauenen Stein — er ist wie der Boden
dunkel gestrichen — zum Grab des Herrn schie-
ben. Der eine ist mit einem Hemd und einer
kurzen Hose bekleidet, die kaum übers Knie
reicht, die Füße stecken in Sandalen, der Mantel
ist heruntergefallen und zwischen dem Stein und
den Beinen eingeklemmt hängen geblieben. Die
große Anstrengung läßt Sehnen und Muskel an
den bloßen Unterarmen und nackten Beinen stark
hervortreten.
Der andere hat seinen Mantel umbehalten,
der über beiden Schultern zusammengeknüpft ist;
er steht fast aufrecht und trägt das Haupt mit
einem Turban bedeckt, der zurückgeschoben ist und
die hohe mächtige Stirn frei läßt. Das zur Brust
gesenkte Haupt mit der langen Nase und dem
runden Schädel finden wir in dem Relief1) „Die
Kreuzabnahme“ ähnlich bei dem Alten, der auf
der Leiter steht und die Nägel aus den Händen
des Herrn gezogen hat. Der andere Alte dieses
Reliefs, der unten steht und mit dem Jüngling
den Leichnam des Herrn in seinen Armen auf-
nimmt, zeigt ähnlich schlichtes Haar und unter
der langen Nase einen ähnlich eingekniffenen
Mund wie der barhäuptige Alte der Holzgruppe.
Auch kommt es häufig vor, daß Donner den breiten
Rücken seiner Figuren zeigt; bei dem oben zi-
tierten Relief ist der Jüngling in Rückenansicht
gebildet, auf den beiden Skizzen im Münzamt
„Christus vor Pilatus“ und das „Opfer Davids“
(Abb. 70) sind gleichfalls zwei Krieger, die dem
Beschauer den Rücken zuwenden, und bei den Re-
liefs in der Elemosynariuskapelle in Preßburg
findet sich dasselbe Motiv.
Die Gruppe Nikodemus’ und Josephs von
Arimathia steht zur Gruppe der beiden Marien
in ähnlichem Verhältnis wie die männlichen Fluß-
götter zu den weiblichen Personifikationen, die
b Dieses Relief in Ton kam aus dem Nachlaß des
Mathaeus Donner, Raphaels Bruder, ins Münzamt.
den Rand des Brunnens auf dem Neuen Markt
schmücken. Die freie Kunst, zu der sich Donner
durch Naturstudium bei seinen männlichen Figuren
durchgearbeitet hat, steht im Gegensatz zu der
mehr eintönigen Behandlung seiner weiblichen
Figuren, bei denen er an dem gewohnten Typus
in konservativer Weise festhält. Die Entwicklung,
die zwischen dem Mirabellparis und dem Flußgott
der Traun liegt, steht der gleichlaufenden Reihe
Fig. 102 Die Providentia,
Mittelfigur des Brunnens am Neuen Markt zu Wien
gegenüber, die von der Klosterneuburger Madonna
zur Dominikaner Mariengruppe führt. Der barocke
Künstler des Paris ist unabhängiger Naturalist
geworden, der in der Auffassung des Nackten
seiner Zeit weit voraus ist; bei seinen weiblichen
Figuren aber bleibt Donner bei dem Typus, den
er in seiner Jugend bei Giuliani1) gesehen und
*) Man vergleiche die Frauen der Giulianischen Kreuzi-
gung im Dormitorium und der Kreuzgangskulpturen in
Heiligenkreuz.