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Österreich / Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale [Editor]
Jahrbuch der K. K. Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale — NF. 4.1906

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Nr. 4
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Tietze, Hans: Johann Michael Rottmayr
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https://doi.org/10.11588/diglit.47869#0233
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Η. Tietze Johann Michael Rottmayr

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genden Nase, hochgezogenen Augenbrauen, die
den Ausdruck des Staunens festbannen, schwellen-
den halbgeöffneten Lippen, mit besonderer Vor-
liebe in ein verlorenes oder Dreiviertelprofil ge-
stellt; Männerköpfe, in diesen frühen Jahren wenig
variiert, bei Jünglingen oft mit weiblichem Aus-
druck, bei Männern voll gesuchter Anmut, bei
Greisen akademischen Charakters und der ver-
schiedenen Abstufungen und Grade von Würde
noch unfähig, die Rottmayers greise Heiligen

Fig. 52 Rottmayr, Deckenbild im Rathaus in Wien


der späteren Zeit aufweisen. Wie naiv und un-
mittelbar in der Typik Rottmayrs Entlehnungen
bisweilen sind, sei an dem Beispiel einer der
allegorischen Frauen gestalten in einem der Resi-
denzzimmer (Fig. 49) gezeigt, die den „Sommer“
aus Albanis Deckenbild im Palazzo Verospi in
Rom (Fig. 50) trotz abweichender Beschäftigung
und Attribute im Gegensinne wiederholt.
Dieselbe Vorschulung bestimmt Rottmayrs
Kompositionsweise; das ganze Rüstzeug fertiger
Paradigmen und gegebener Lösungen aller er-
denklichen Probleme wird angewendet, zu un-
serm größten Leidwesen, da wir nie aus dieser
Atmosphäre flacher Selbstgenügsamkeit heraus-
gerissen werden. Kein kompositioneller Versuch,
keine befreiende Disharmonie läßt uns nur einen Au-
genblick vermuten, daß der Maler bisweilen die
Existenz von Problemen geahnt habe, die jenseits

des ihm Geläufigen lagen. Darin liegt vielleicht
für uns mit unserer stark ethisch gefärbten Wer-
tung des Künstlertums eine Hauptursache unserer
Abneigung gegen jene Zeit. Entwöhnt den monu-
mentalen und dekorativen Wert einer Kunst voll
einzuschätzen, suchen wir auch in jenen Werken
Qualitäten, die der n^chprüfenden intimeren Be-
trachtung' standhalten und da wir sie nicht finden,
eifern wir über schmähliche Leere, wo wir eine
weise Selbstbescheidung bewundern sollten, die
eine erstrebte Gesamtwirkung durch Nebeneffekte
nicht zu beeinträchtigen über sich bringt. Unsere
Betrachtungsweise ist eine kurzsichtige geworden
und diesen einseitigen Standpunkt, durch den
Verstand schlecht beraten, noch verschärfend,
weisen wir dem Bild seine Grenzen mit dem um-
gebenden Rahmen an, nehmen eine nach außen
abgeschlossene Einheitlichkeit unter die Grund-
bedingungen der künstlerischen Wirkung auf und
bringen uns selbst um die Möglichkeit eine Kunst
genießen zu können, für die jene Beschränkung
nicht bestand. Denn der Schatz kompositioneller
Lösungen, den Raffael oder Rubens sich in
heißem Bemühen von Fall zu Fall abgerungen
hatten, den ihre nächsten Nachfolger um weniges
zu vermehren noch imstande gewesen waren, war
dann zum Gemeingut geworden und die Künstler
waren froh, im Besitze dieses ererbten Reichtums
anderen Problemen nachgehen zu können. Für
ihre Zwecke war es geradezu ein Vorteil, daß das
Auge über der Betrachtung des geläufigen und
vertrauten Details nicht ermüdete, sondern zur
Aufnahme des größeren Ganzen fähig blieb; wir
aber, die wir das was diese Kunst zu bieten im-
stande ist, zu genießen nicht fähig sind, verweilen
überlange beim einzelnen und das gelangweilte
Auge, das jeden Kontrapost errät, jede Abrundung
vorausahnt, folgt mit Überdruß den nie versagen-
den Diagonalen und umschreibt mit Ingrimm die
altgewohnten Dreiecke und Ovale.
Vom Standpunkt einer solchen Kunst also
müssen wir Rottmayr ins Auge fassen, wenn
wir ihm gerecht werden wollen, und da sehen
wir ihn den Umschwung des ganzen Dekorations-
systems, der sich in Österreich um die Jahrhunderts-
wende vollzieht, wenn auch nicht anregen, so doch
besser als irgendein anderer vertreten. In zwei
Arten kann die Malerei in einer Deckendekoration
 
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