2.4. Tableaux vivants bei Theaterspielen
Seit dem späten 15. Jahrhundert bis in das frühe 17. Jahrhundert hinein wurden in den Nieder-
landen die »Spelen van Sinne«, allegorische Sinnspiele, gepflegt. Sie fanden im Rahmen der
Landjuweelen - der offiziellen Rederijker-Bühnenwettkämpfe - statt.69 Ausgangspunkt war
immer eine zunächst religiöse, später auch weltliche Frage, die jede Gesellschaft in einem
allegorischen Spiel mit Symbolgestalten beantworten mußte. Hier entfalteten die Rheto-
rikkammern, die auch die Tableaux vivants bei den Fürsteneintritten einrichteten, ihre kreati-
ven Hauptaktivitäten.70 Die einfachste Form der lebenden Bilder bei den Sinnspielen war eng
verwandt mit den Tableaux der Fürsteneinzüge: Lebende Darsteller bildeten stumme Bilder
allein oder in Gruppen, die mit Banderolen, Pantomimen oder Ansagern erklärt wurden
(Abb. 10). Der pictura-Charakter wurde zusätzlich durch das Schaugerüst unterstrichen: Ein
fester Bühnenrahmen mit einem oft reich verzierten Portal faßte die Bühneneinrichtung ein
und präsentierte sie als abgeschlossenes Bild.71 Im Laufe der Zeit entwickelten sich kom-
plexere Formen der Präsentation, bei denen sogenannte »Vertoonige« oder »Figueren« zur
Unterstützung eines Spiels eingesetzt wurden: Innerhalb einer theatralen Aufführung auf der
Vorderbühne wurden auf einer Hinter- oder Oberbühne, die mit Vorhängen verschließbar war,
die lebenden Bilder an bestimmten, dramaturgisch wirksamen Stellen eingeblendet. Bibli-
sche, antik-mythologische oder historische Bilder belegten beziehungweise bekräftigten als
Präfigurationen oder Parallelszenen die Aussage der dargestellten Haupthandlung.72 Diese
Bühnenform bot die Möglichkeit, mehrere lebende Bilder gleichzeitig zu zeigen.73 Der enge
Zusammenhang mit der Emblematik jener Zeit ist augenfällig: Das Schauspiel übersetzte
Bjld und Text des Sinnbildes in ein lebendig bewegtes Spiel. Schöne entwickelte besonders
für das niederländische Schauspiel drei Schritte vom Bild zum Theater: Bei geschriebenen
Erläuterungen zu den Bildern ist die Nähe zu pictura, inscriptio und subscriptio der Emblemati-
ker noch ganz augenfällig. Bei gesprochenen Kommentaren zu den Tableaux vivants ist die
Form erreicht, die in den Vertooningen und stillen Vorstellungen des Dramas weiterlebt. Spre-
chen die darstellenden Personen selbst, so ist der Schritt vom Bild zum Spiel getan:74 »Als
69 1493 wurde das jährliche Festival mit Wettkämpfen gegründet. 1625 mit der Verbreitung des französi-
schen Dramas und des professionellen Theaters verloren sie an Bedeutung. Die wichtigsten
Landjuweelen fanden statt: in Brüssel 1493, 1532, Antwerpen 1496, 1561, Louvain 1505, 1529,
Malines 1515, 1535, Gent 1530, 1539,Diest 1541 und Rotterdam 1561, vgl. Kernodle 1944, S. 114.
1618 wurde bei der Doordrechter Synode verboten, Stücke aufzuführen, die Episoden aus der Lebens-
geschichte Christi zum Gegenstand hatten, vgl. Gudlaugsson 1938. S.79-81.
70 Vgl. Kernodle 1944, S. 111-128. Die Wettbewerbe kleinerer Dörfer nannten sich Haagspeien, vgl.
Kindermann II. 1959. S.215-222. Vgl. Gudlaugsson 1938. S.43. Vgl. Worp I. 1904. S.110. Zum
Bühnenwettstreit in Gent 1539, vgl. Hummelen 1976 und 1981. Vgl. Brauneck 1993. Bd.l. S.398.
71 Vgl. Schöne 1964. S.217. Als eines der prachtvollsten Sinnspiele überhaupt galt das Antwerpener
Landjuweel von 1561, vgl. Kindermann II. 1959. S.215-216. Vgl. Gudlaugsson 1938. S.41-45.
Bedeutende Rederijker-Kammern waren die »Violieren« in Antwerpen, »Het Boeck« in Brüssel,
»De Fonteine« in Gent und »Engländer« in Amsterdam, vgl. Rischbieter 1983. Spalte 1047.
72 Zu den Vertooningen mit ausgewählten Beispielen, vgl. Kindermann II. 1959. S.221-224. Vgl.
Kernodle 1944, der von »Figueren« spricht, S.122-128. Vgl. Worp I. 1904. S.40-46 und Worp II.
1908. S.14-19.
73 Vgl. Kindermann II. 1959. S.227-228.
74 Vgl. Schöne 1964. S.206. Er geht in diesem Falle von einer sehr einseitigen Entwicklung vom Bild
zum Theater aus. Vgl. Henkel / Schöne 1967. Zum Verhältnis von Bild und Wort und speziell zu
Abbild und Sinnbild, vgl. Warncke 1987, v.a. S. 137-216.
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Seit dem späten 15. Jahrhundert bis in das frühe 17. Jahrhundert hinein wurden in den Nieder-
landen die »Spelen van Sinne«, allegorische Sinnspiele, gepflegt. Sie fanden im Rahmen der
Landjuweelen - der offiziellen Rederijker-Bühnenwettkämpfe - statt.69 Ausgangspunkt war
immer eine zunächst religiöse, später auch weltliche Frage, die jede Gesellschaft in einem
allegorischen Spiel mit Symbolgestalten beantworten mußte. Hier entfalteten die Rheto-
rikkammern, die auch die Tableaux vivants bei den Fürsteneintritten einrichteten, ihre kreati-
ven Hauptaktivitäten.70 Die einfachste Form der lebenden Bilder bei den Sinnspielen war eng
verwandt mit den Tableaux der Fürsteneinzüge: Lebende Darsteller bildeten stumme Bilder
allein oder in Gruppen, die mit Banderolen, Pantomimen oder Ansagern erklärt wurden
(Abb. 10). Der pictura-Charakter wurde zusätzlich durch das Schaugerüst unterstrichen: Ein
fester Bühnenrahmen mit einem oft reich verzierten Portal faßte die Bühneneinrichtung ein
und präsentierte sie als abgeschlossenes Bild.71 Im Laufe der Zeit entwickelten sich kom-
plexere Formen der Präsentation, bei denen sogenannte »Vertoonige« oder »Figueren« zur
Unterstützung eines Spiels eingesetzt wurden: Innerhalb einer theatralen Aufführung auf der
Vorderbühne wurden auf einer Hinter- oder Oberbühne, die mit Vorhängen verschließbar war,
die lebenden Bilder an bestimmten, dramaturgisch wirksamen Stellen eingeblendet. Bibli-
sche, antik-mythologische oder historische Bilder belegten beziehungweise bekräftigten als
Präfigurationen oder Parallelszenen die Aussage der dargestellten Haupthandlung.72 Diese
Bühnenform bot die Möglichkeit, mehrere lebende Bilder gleichzeitig zu zeigen.73 Der enge
Zusammenhang mit der Emblematik jener Zeit ist augenfällig: Das Schauspiel übersetzte
Bjld und Text des Sinnbildes in ein lebendig bewegtes Spiel. Schöne entwickelte besonders
für das niederländische Schauspiel drei Schritte vom Bild zum Theater: Bei geschriebenen
Erläuterungen zu den Bildern ist die Nähe zu pictura, inscriptio und subscriptio der Emblemati-
ker noch ganz augenfällig. Bei gesprochenen Kommentaren zu den Tableaux vivants ist die
Form erreicht, die in den Vertooningen und stillen Vorstellungen des Dramas weiterlebt. Spre-
chen die darstellenden Personen selbst, so ist der Schritt vom Bild zum Spiel getan:74 »Als
69 1493 wurde das jährliche Festival mit Wettkämpfen gegründet. 1625 mit der Verbreitung des französi-
schen Dramas und des professionellen Theaters verloren sie an Bedeutung. Die wichtigsten
Landjuweelen fanden statt: in Brüssel 1493, 1532, Antwerpen 1496, 1561, Louvain 1505, 1529,
Malines 1515, 1535, Gent 1530, 1539,Diest 1541 und Rotterdam 1561, vgl. Kernodle 1944, S. 114.
1618 wurde bei der Doordrechter Synode verboten, Stücke aufzuführen, die Episoden aus der Lebens-
geschichte Christi zum Gegenstand hatten, vgl. Gudlaugsson 1938. S.79-81.
70 Vgl. Kernodle 1944, S. 111-128. Die Wettbewerbe kleinerer Dörfer nannten sich Haagspeien, vgl.
Kindermann II. 1959. S.215-222. Vgl. Gudlaugsson 1938. S.43. Vgl. Worp I. 1904. S.110. Zum
Bühnenwettstreit in Gent 1539, vgl. Hummelen 1976 und 1981. Vgl. Brauneck 1993. Bd.l. S.398.
71 Vgl. Schöne 1964. S.217. Als eines der prachtvollsten Sinnspiele überhaupt galt das Antwerpener
Landjuweel von 1561, vgl. Kindermann II. 1959. S.215-216. Vgl. Gudlaugsson 1938. S.41-45.
Bedeutende Rederijker-Kammern waren die »Violieren« in Antwerpen, »Het Boeck« in Brüssel,
»De Fonteine« in Gent und »Engländer« in Amsterdam, vgl. Rischbieter 1983. Spalte 1047.
72 Zu den Vertooningen mit ausgewählten Beispielen, vgl. Kindermann II. 1959. S.221-224. Vgl.
Kernodle 1944, der von »Figueren« spricht, S.122-128. Vgl. Worp I. 1904. S.40-46 und Worp II.
1908. S.14-19.
73 Vgl. Kindermann II. 1959. S.227-228.
74 Vgl. Schöne 1964. S.206. Er geht in diesem Falle von einer sehr einseitigen Entwicklung vom Bild
zum Theater aus. Vgl. Henkel / Schöne 1967. Zum Verhältnis von Bild und Wort und speziell zu
Abbild und Sinnbild, vgl. Warncke 1987, v.a. S. 137-216.
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