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Jooss, Birgit
Lebende Bilder: körperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezeit — Berlin, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.22768#0039
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lebende pictura, als sprechende Icon, agierende Imago (um die Bezeichnungen der Em-
blematiker für den Bildteil ihrer Darstellungen aufzunehmen) steht die dramatische Figur auf
dem Schaugerüst;«15

Das deutsche Jesuitentheater machte sich die niederländische Entwicklung der Simul-
tanbühnen und eingeblendeten Tableaux zu Nutze - erstmals 1577 eingesetzt bei dem Spiel
»Hester« auf dem Marktplatz in München.76 Anfänglich bildeten die Szenen dort keine wirk-
liche Theaterabfolge im heutigen Sinne, sondern eine Aneinanderreihung von Bildern, die
sich mit einem kleinen erklärenden Spiel abwechselten.77 Ein spektakuläres Beispiel mit ein-
deutig kirchenpolitischer Bedeutung ist die Einweihung der Michaelskirche in München 1597,
die mit dem Triumph des Hl. Michael »in szenischen Episoden nach Art lebender Bilder«
gefeiert wurde78 Aus den Bilder-Szenen entwickelte sich später ein durchgängiger Spiel-
ablauf, dessen Aussage durch die lebenden Bilder - eingeblendet in verschiedenen Büh-
nenräumen - unterstützt wurde79 Flemming unterscheidet zwischen den »scenae mutae«,
quasi allegorische Proludien, und den »repraesentationes«, Bilder, die reale Situationen dar-
stellten, allerdings von sinnbildlicher Bedeutung.. Meist handelte es sich um Präfigurationen
aus dem Alten Testament, die einen parallelen Vorgang zu dem des Theaterstücks darstell-
ten.80

Wichtiger Bestandteil der Aufführung sind bis heute lebende Bilder bei den Oberammer-
gauer Passionsspielen. Übernommen vom Jesuitendrama, können seit 1750 Tableaux vivants
als Präfigurationen aus dem Alten für das Neue Testament nachgewiesen werden. Vorläufer

75 Siehe Schöne 1964. S.214.

76 Vgl. Kemodle 1944, S. 164. Zum Jesuitentheater, vgl. die umfassenden Monographien von Flemming
1923, Müller 1930 und Wimmer 1982. Das Jesuitentheater mit seinen erbaulichen Stoffen stand
vollkommen im Dienst der musisch-religiösen Jugenderziehung und der sittlichen Bildung. Es blieb
stets eine Dilettantenbühne. Vgl. Ebneter 1982. S.52. Vgl. Moser 1990. S.100. Müller verweist auf
den starken niederländischen Einfluß auf das Jesuitendrama und erwähnt hierbei die Übernahme
lebender Bilder, vgl. Müller 1930. S. 17. Vgl. auch Flemming 1923. S.88 und S.306. Vgl. Risch-
bieter 1983. Spalte 699-700.

77 Vgl. Müller 1930. S.40 und S.68. Er führt einige Beispiele dieser Bild-Bühnenkunst an, vgl. das
Kapitel »Bildkunst und Jesuitendrama«, das auf die Beziehungen zwischen dem Jesuitendrama
und der damaligen bildenden Kunst und ihre gemeinsame Motive aufmerksam macht, Müller 1930.
S.67-72. Vgl. auch Flemming 1923. S.132-138 über die bildhafte Ausstattung der Jesuitenbühne.
Vgl. Kernodle 1944, S. 164.

78 Siehe Kindermann II. 1959. S. 347. Vgl. auch Müller 1930. S.19. Wimmer beschreibt ausführlich
den Fall einer Grazer Aufführung im Jahre 1617, bei dem das Habsburger Kaiserhaus und die
biblische Josephsfamilie in Beziehung gesetzt wurden, vgl. Wimmer 1982. S.362-367. Massen-
umzüge, die lebende Bilder politisch-didaktisch einsetzen, sind durch alle Jahrhunderte hindurch
bekannt.

79 Es gibt viele verschiedene, von den Jesuiten gebrauchte Bühnentypen wie beispielsweise die kubi-
sche Simultanbühne, die barocke Kulissenbühne, die Sukzessionsbühne usw., die Flemming ge-
nauer untersucht, vgl. Flemming 1923 v.a. S.88-89. Zum Simultanprinzip mit dem Nebeneinander
aller Orte und Personen, vgl. Moser 1990. S.98. Vgl. Gudlaugsson 1938. S.55.

80 Vgl. Flemming 1923. S. 192-195. Vgl. auch Duhr 1896. S.138. Auch während anderer Festlichkei-
ten der Jesuiten finden sich Beispiele von lebenden Bildern, vgl. Flemming 1923. S.115 zu einer
Aufführung mit lebenden Bildern in Breslau 1649 und S.118 zu der Zentenarfeier des Ordens am
Wiener Hofe 1640, bei der in den vier Ecken des Hofes Bühnen mit lebenden Bildern errichtet
waren, vgl. auch S. 189 die Einbettung von Bildern als Zukunftsvision innerhalb eines Stükes 1683
in Graz. ZurTradition des Jesuitentheaters bis ins 18. Jahrhundert, vgl. Holmström 1967. S.15. Vgl.
auch Richter, der »Praesentationes« oder »Actiones« zwischen den Szenen von Komödien vor-
schlägt, Richter 1662. S.212. Freundlicher Hinweis von Dr. Uta Piereth.

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