Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jooss, Birgit
Lebende Bilder: körperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezeit — Berlin, 1999

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22768#0025
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2. Lebende Bilder vor dem 18. Jahrhundert -
Eine kurze historische Einleitung

Frei komponierte lebende Bilder beziehungsweise gewisse Vorformen sind bereits seit der
Antike bekannt. Ihre Entstehung, Entwicklung und Funktion im Laufe der Jahrhunderte kön-
nen viel zum Verständnis der späteren nachgestellten lebenden Bilder beitragen.1 Hauptquellen
sind schriftlicher Art, wie beispielsweise Prozessionsordnungen, Festbücher, Berichte über
Umzüge, Chroniken oder Hofhistorien.2 Im Gegensatz zum Zeitraum des 18. und frühen 19.
Jahrhunderts ist aber aus dem Spätmittelalter und aus der Zeit der Renaissance zusätzlich
Bildmaterial - vor allem in Form von Graphiken - überliefert.3 Dies liegt daran, daß sie
vorrangig bei sakralen wie profanen Festen zur Anwendung kamen - also bei offiziellen,
repräsentativen Ereignissen, die sich in Kirchen, in höfischer Gesellschaft oder auf den Stra-
ßen und Plätzen der Städte abspielten. Trotz ihres ephemeren Charakters waren die präsen-
tierten Bilder auf Monumentalität angelegt und durchaus wert, in Text und Bild dokumentiert
zu werden. Sie waren stets in den Zusammenhang der theatralischen Aktion integriert und
können deshalb kaum als unabhängige Bildgattung betrachtet werden. Gegen Ende des 18. Jahr-
hunderts änderte sich der soziokulturelle Rahmen. Lebende Bilder wurden nun auch von

1 Obwohl die früheren Tableaux vivants nicht in direktem Zusammenhang stehen mit den lebenden
Bildern des 18. Jahrhunderts, die v.a. eine enge Affinität mit der damaligen Theatersituation und
künsttheoretischen Überlegungen zeigen (vgl. Kap.3.1.1. und Kap.3.2.1.), erscheint ein Überblick
über die verschiedenen Facetten der Vorformen wegen der besseren historischen Einordnung sowie
des Aufzeigens übernommener Traditionen sinnvoll..Eine Zusammenfassung fehlt bislang. Auch
Landvogt zeigt in ihrer Arbeit über die lebenden Bilder im Oberammergauer Passionsspiel nur eine
kurze geschichtliche Abhandlung auf, in der weitere Literaturhinweise zu finden sind, vgl. Land-
vogt 1972. S.8-17. Vorbildhaft für den Bereich der Renaissancefeste - jedoch ohne Berücksichti-
gung Italiens - ist die dreibändige Aufsatzsammlung, hrsg. von Jacquot I.II.III. 1956/60/75. An der
Berliner Humboldt-Universität ist im Frühjahr 1997 eine Dissertation bei Herrn Prof. Bredekamp
abgeschlossen worden: »Lebende Bilder. Ein Phänomen der italienischen Festkultur des Quattro-
cento« von Philine Helas, die mir freundlicherweise ihre Einleitung als Typosskript zur Verfügung
stellte, und deren Arbeit sicherlich dieses Phänomen im 15. Jahrhundert detailliert beleuchten wird.
Sie definiert in ihrem Zusammenhang das lebende Bild sehr weit: »Die Inszenierung bedient sich
eines Festapparates lebender Personen, die ihre Rolle nicht spielen, sondern durch Kostüm, Attri-
but und Pose verkörpern. Weder ein völlig ,stummes' noch ein statisches, räumlich fest definiertes
, Bild' wird verlangt.«

2 Für dieses einleitende historische Kapitel wurde kein Quellenstudium betrieben. Quellen, die zeit-
lich vor dem 18. Jahrhundert liegen, sind über die jeweils angegebene Sekundärliteratur zu er-
mitteln.

3 Eichberger nennt als eine der frühesten Bildquelle für Tableaux vivants ein Manuskript, das den
Einzug von Johanna von Kastilien in Brüssel 1496 illustriert, vgl. Eichberger 1988, S.51.

25
 
Annotationen