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Jooss, Birgit
Lebende Bilder: körperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezeit — Berlin, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.22768#0136
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4.1. Erscheinungsformen der lebenden Bilder

4.1.1. Außerbildliches Bezugsfeld

Es gab stets verschiedene Anlässe, lebende Bilder zu stellen. In allen Fällen handelte es sich
um eine festliche - also wahrnehmungsästhetisch außergewöhnliche - Situation. Bei den
Theateraufführungen, die auch lebende Bilder integrierten, waren es zum einen professio-
nelle Auftritte mit Schauspielern oder Tänzern, zum anderen Liebhaberaufführungen mit
Dilettanten im ausgewählten Kreise. Die eigenständigen lebenden Bilder wurden in privaten
Belehrungs- oder Unterhaltungsaufführungen präsentiert, ab 1812 auch in öffentlichen Vor-
stellungen. Die privaten Darbietungen fanden oft anläßlich einer Familienfeier, etwa eines
Geburtstages statt, die der öffentlichen Theater wurden in das reguläre Theaterprogramm auf-
genommen. Hier lassen sich zum einen die Einbindung in ein größeres Rahmenprogramm -
beispielsweise bei den Wiener Wohltätigkeitsveranstaltungen -, zum anderen Tableaux als
Hauptveranstaltung mit Musikuntermalung unterscheiden.3 Veranstalter waren entsprechend
die verschiedenen Theater, Wohltätigkeitsgesellschaften, die europäischen Fürstenhöfe, ade-
lige Privatleute oder arrangierende Künstler.4

Waren die Tableaux vivants nicht in ein Theaterstück, also in einen bestimmten Hand-
lungskontext als sehr spezielles Stilmittel zur Untermauerung einer Aussage eingebunden, so
stellt sich die Frage nach der Art ihrer Präsentation und ihrer eventuellen Einbindung in ein
Rahmenprogramm. Nie wurde nur ein Bild allein zur Aufführung ausgewählt. Schon die sehr
frühen Quellen zu privaten Aufführungen in Paris, Neapel oder St.Petersburg erwähnen stets
die Kombination von verschiedenen Tableaux an einem Abend. Der Baron von Grimm sprach
im Plural von den »compositions de tableaux connus« (Kat.F.1765.Q.l), wie auch Goethe
von Emma Harts Gemälde-Darstellungen berichtete.5 Madame de Genlis präzisierte:

»Onfaisait ainsi dans la soiree une douzaine de tableaux.«6

und der Graf von Espinchal sprach von »quatre ou cinq variations« ? Noch ist nicht die Rede
von einem Unterhaltungsprogramm, einer Untermalung durch Musik oder einer Kombina-
tion verschiedenartiger Vorstellungen. Der Bildungsanspruch erforderte diese Variationsbrei-
te offensichtlich nicht. Erst als das Vergnügen an den Tableaux in den Vordergrund rückte,
wurde für Abwechslung gesorgt. Die erste Meldung zu einer Art Programm-Kombination
liegt uns mit den Memoiren des Berliner Akademiedirektors Johann Gottfried Schadow vor,
der sich an das Jahr 1804 mit Abendveranstaltungen von bildenden Künstlern und Musikern
»mit selbst verfaßsten Possen, Satyren, Extravagencen, Carricaturen, Transparenten und
Tableaux vivants« erinnert.8 Auch Delbrück und Löwenstern berichten 1805 von Privat-Soireen
mit Theaterstücken beziehungsweise Ballettvorführungen, variiert durch Tableaux
(Kat.Ber. 1805/1; Kat.Ber. 1805/2). Vor allem aber bei den öffentlichen Aufführungen in Wien
wurden lebende Bilder in regelrechte Varietes eingebunden, bei denen neben den Tableaux

3 Zu den verschiedenen Anlässen, vgl. im Katalog unter A.:. Zum festlichen Charakter, vgl. Kap.4.1.2.

4 Zu den verschiedenen Veranstaltern, vgl. im Katalog unter V.:

5 Vgl. Goethes Bericht aus Neapel vom 27.5.1787. In: Goethes Werke. Weimarer Ausgabe 1904.
Bd.31. S.250-252.

6 Siehe Genlis 1825. Bd.III. S.156-57.

7 Siehe Espinchal (9.3.1790). In: Hauterive 1912. S.110.

8 Siehe Schadow 1849. S.73.'

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