Neben den freien Kompositionen entwickelte sich ab den 60er Jahren des 18. Jahrhun-
derts das Nachstellen von Werken der bildenden Kunst. Es handelt sich hier um die explizite
Übernahme einer konkreten Bildidee, einer »inventio«, die bereits durch einen bildenden
Künstler formuliert wurde. Diese lebenden Bilder richten sich nicht allein nach ikonogra-
phischen Grundbildern, sie »kopieren« Werke der Kunstgeschichte.
Lebende Bilder, die sich zwar an einem Kunstwerk orientieren, aber dennoch in freier
Form angeordnet sind, können nicht zu den streng nachgestellten Bildern gerechnet werden,
da sie nur in einer sehr losen Beziehung zu ihren Vorbild stehen. Sie können beispielsweise
versuchen, die »Idee« eines Gemäldes oder mehrerer Gemälde eines Künstlers zu kompri-
mieren, indem sie idealtypische Ausschnitte zitieren und miteinander verbinden, oder sie richten
sich nach stilistischen Besonderheiten ganzer Malerschulen oder Epochen der Kunstgeschichte.
Übergänge zu den streng nachgestellten Tableaux sind natürlich fließend.
Grundsätzlich muß man zwischen dem Nachstellen von Skulpturen und dem Nachstellen
zweidimensionaler Kunstwerke, wie Gemälde oder Stiche, unterscheiden. Die »lebende Pla-
stik« - vor allem in Form der »Attitüde« - wird in der Regel nicht als Gruppe von Laien
vorgeführt, sondern durch eine Künstlerin oder einen Künstler allein gestellt. Dabei ist der
statisch länger gehaltene Moment weniger wichtig als der gekonnte Wechsel von einer Posi-
tion zur nächsten.33
Im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit soll nun eine enge Eingrenzung des Begrif-
fes vorgenommen werden: Mit diesen speziellen lebenden Bilder meine ich Darstellungen
durch Menschen, die zweidimensionale Kunstwerke möglichst genau »übersetzen« und eini-
ge Minuten in Stille und Starre gehalten werden. Voraussetzung ist eine gewisse Reflexion
der vorgegebenen Kunst als eine spezifische Realitätsform neben der Natur. Formal wie the-
matisch unterscheiden sie sich oft nicht maßgeblich von den frei komponierten lebenden Bil-
dern. Der besondere Unterschied liegt in der körperlichen Nachahmung von Kunst, der
Beschäftigung mit der bildenden Kunst und der Übertragung der illusionistischen Dreidimen-
sionalität eines zweidimensionalen Werkes in die »reale« Dreidimensionalität. Das lebende
Bild ist damit eine Form der Übersetzung von Kunst in ein anderes Medium, die sich von
anderen manueller und technischer Art grundlegend unterscheidet. Zum einen bleibt sie flüchtig,
zum anderen übertrifft sie jede andere Kunstreproduktion an Wirkung durch ihre Lebensnähe.
Die Übersetzung ins Dreidimensionale sowie die körperliche Aneignung der Kunst sind - als
eine spezielle Form der Kunstrezeption - von Interesse. Hierbei lösen mehrere Motive dieses
Interesse aus, wie die Übertragung des Kleinen ins Große, des meist Schwarzweißen ins Farbige,
des Illusionären in die Wirklichkeit, des Toten ins Lebendige, des Ewigen ins Momentane,
des Heroischen ins Intime (oder auch ins Triviale) und vor allem der Kunst ins Leben. Sie
erfordern ein ganz bestimmtes mit dem kunstgeschichtlichen Kanon vertrautes Publikum. Für
das »Funktionieren« nachgestellter lebender Bilder sind - vielleicht noch in einem höheren
Maße als bei zweidimensionalen Kunstwerken - die Rezipienten maßgeblich, Mitwirkende
wie Zuschauer.
33 Zu einer genaueren Analyse, vgl. Kap.3.2.3. Gerade zwischen den lebenden Bildern und den Atti-
tüden wird oft nicht streng differenziert, wie es beispielsweise bereits Langen 1968 tut. Trotz dieser
Publikation wird noch in Veröffentlichungen der 80er Jahre, die die Attitüden eingehend behan-
deln, der Begriff »lebendes Bild« synonym zu »Attitüde« benutzt, vgl. beispielsweise Hoff / Meise
1987. S.70.
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derts das Nachstellen von Werken der bildenden Kunst. Es handelt sich hier um die explizite
Übernahme einer konkreten Bildidee, einer »inventio«, die bereits durch einen bildenden
Künstler formuliert wurde. Diese lebenden Bilder richten sich nicht allein nach ikonogra-
phischen Grundbildern, sie »kopieren« Werke der Kunstgeschichte.
Lebende Bilder, die sich zwar an einem Kunstwerk orientieren, aber dennoch in freier
Form angeordnet sind, können nicht zu den streng nachgestellten Bildern gerechnet werden,
da sie nur in einer sehr losen Beziehung zu ihren Vorbild stehen. Sie können beispielsweise
versuchen, die »Idee« eines Gemäldes oder mehrerer Gemälde eines Künstlers zu kompri-
mieren, indem sie idealtypische Ausschnitte zitieren und miteinander verbinden, oder sie richten
sich nach stilistischen Besonderheiten ganzer Malerschulen oder Epochen der Kunstgeschichte.
Übergänge zu den streng nachgestellten Tableaux sind natürlich fließend.
Grundsätzlich muß man zwischen dem Nachstellen von Skulpturen und dem Nachstellen
zweidimensionaler Kunstwerke, wie Gemälde oder Stiche, unterscheiden. Die »lebende Pla-
stik« - vor allem in Form der »Attitüde« - wird in der Regel nicht als Gruppe von Laien
vorgeführt, sondern durch eine Künstlerin oder einen Künstler allein gestellt. Dabei ist der
statisch länger gehaltene Moment weniger wichtig als der gekonnte Wechsel von einer Posi-
tion zur nächsten.33
Im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit soll nun eine enge Eingrenzung des Begrif-
fes vorgenommen werden: Mit diesen speziellen lebenden Bilder meine ich Darstellungen
durch Menschen, die zweidimensionale Kunstwerke möglichst genau »übersetzen« und eini-
ge Minuten in Stille und Starre gehalten werden. Voraussetzung ist eine gewisse Reflexion
der vorgegebenen Kunst als eine spezifische Realitätsform neben der Natur. Formal wie the-
matisch unterscheiden sie sich oft nicht maßgeblich von den frei komponierten lebenden Bil-
dern. Der besondere Unterschied liegt in der körperlichen Nachahmung von Kunst, der
Beschäftigung mit der bildenden Kunst und der Übertragung der illusionistischen Dreidimen-
sionalität eines zweidimensionalen Werkes in die »reale« Dreidimensionalität. Das lebende
Bild ist damit eine Form der Übersetzung von Kunst in ein anderes Medium, die sich von
anderen manueller und technischer Art grundlegend unterscheidet. Zum einen bleibt sie flüchtig,
zum anderen übertrifft sie jede andere Kunstreproduktion an Wirkung durch ihre Lebensnähe.
Die Übersetzung ins Dreidimensionale sowie die körperliche Aneignung der Kunst sind - als
eine spezielle Form der Kunstrezeption - von Interesse. Hierbei lösen mehrere Motive dieses
Interesse aus, wie die Übertragung des Kleinen ins Große, des meist Schwarzweißen ins Farbige,
des Illusionären in die Wirklichkeit, des Toten ins Lebendige, des Ewigen ins Momentane,
des Heroischen ins Intime (oder auch ins Triviale) und vor allem der Kunst ins Leben. Sie
erfordern ein ganz bestimmtes mit dem kunstgeschichtlichen Kanon vertrautes Publikum. Für
das »Funktionieren« nachgestellter lebender Bilder sind - vielleicht noch in einem höheren
Maße als bei zweidimensionalen Kunstwerken - die Rezipienten maßgeblich, Mitwirkende
wie Zuschauer.
33 Zu einer genaueren Analyse, vgl. Kap.3.2.3. Gerade zwischen den lebenden Bildern und den Atti-
tüden wird oft nicht streng differenziert, wie es beispielsweise bereits Langen 1968 tut. Trotz dieser
Publikation wird noch in Veröffentlichungen der 80er Jahre, die die Attitüden eingehend behan-
deln, der Begriff »lebendes Bild« synonym zu »Attitüde« benutzt, vgl. beispielsweise Hoff / Meise
1987. S.70.
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