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waren die schon 1730/40 eingesetzten »stummen Szenen«. Die lebenden Bilder werden bis
heute als Einblendungen - begleitet von Text und Chorgesang - in die Handlung der Pas-
sionsgeschichte verwendet und sind im wörtlichen Sinne Vor-Bilder.81

Die bewegte Zeit des Barock entwickelte keine eigene Form der statuarischen lebenden
Bildern. Es lassen sich noch mancherorts Anklänge an sie finden,82 die vor allem als Nach-
wirkungen der vorangegangenen Zeit zu bewerten sind. Dies trifft für Theateraufführungen
zu, in denen lebende Bilder als Stilmittel in Form von Vertooningen eingesetzt wurden, um
einen besonderen Moment hervorzuheben. Gudlaugsson, die das wechselseitige Verhältnis
von holländischer Malerei und Theater im 17. Jahrhundert untersucht, berichtet über Theater-
aufführungen, die sich in einzelnen Bildern nach Motiven richteten, die auch in der bildenden
Kunst jener Zeit vorzufinden waren.83 Der Hinweis auf konkrete Maler weist eine gToße
Nähe zu den lebenden Bildern auf, die Ende des 18. Jahrhunderts Gemälde oder Stiche be-
wußt nachstellten. In den Fällen des 17. Jahrhunderts orientierten sich die Dichter sicherlich
auch an vorhandenen Gemälden, doch nicht in Form einer Aufforderung zur strengen Nach-
ahmung einer vorgegebenen Komposition. Sie ließen sich vielmehr bei ihrer Szenenbe-
schreibung von Bildern anregen, wie umgekehrt Maler durch Literatur oder Theater.84

81 Siehe hierzu die Dissertation von Landvogt 1972, S.49-105. Vgl. Moser 1990, S.101. Im 19. Jahrhun-
dert bedienten sich die Oberammergauer Passionsspiele auch lebender Bilder, die sich namhaft
greifbarer Bildvorlagen - Gemälde beziehungsweise Stiche - bedienten. Moser wies für die Auf-
führung von 1900 die Anlehnung der Maria an die »Mater Dolorosa« (1617/18) von Guido Reni,
an Tizians »Assunta« oder an die Madonnenbilder Carlo Dolcis nach. Der Oberammergauer Chri-

' stus orientierte sich an Guido Renis »Schlüsselübergabe an Petrus« (1633/34) und auch die Figur
des Johannes sei an Gemälde Renis oder Annibale Caraccis angelehnt. Das Abendmahl von 1900
nahm sich kein geringeres Vorbild als Leonardo da Vincis Fresko im Refektorium von Santa Maria
delle Grazie in Mailand (1495/97) - nach einem Stich von Raffaello Morghen. Bereits 1890 war
eine Anknüpfung an den Nazarener-Stil zu verzeichnen, Joseph von Führichs Freskenzyklus »Kreuz-
weg« diente hier zum Vorbild, vgl. Moser 1990, S.105-109 mit Abbildungsmaterial.

82 Grundsätzlich werden die Quellen immer spärlicher. Gervinus schildert für die 60er und 70er Jahre
des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden und in Deutschland den Nachklang lebender Bilder in
Zwischenspielen auf dem Theater, vgl. Gervinus 1872. S.539-548. Altick erwähnt für das 17. Jahr-
hundert, daß Hofdamen in der Galerie des Kardinal Mazarin sich nach Bildern frisierten und kostü-
mierten, ohne jedoch eine Quelle anzugeben, vgl. Altick 1978. S.344.

83 »So anschaulich, so unmittelbar aus dem Leben gegriffen erscheint hier alles, daß beim Lesen
Szene für Szene vor uns entstehen ganz in der Art des Franz Hals oder des Pieter Buytewegh -, und
dann gibt es einmal bei der Beschreibung des Eislaufs eine vollkommen Averkamp sehe Winterland-
schaft, bis in die Einzelheiten hinein ähnlich.« Siehe Gudlaugsson 1938, S.60. oder »Einzelne Bewe-
gungsmotive deuten auf ihre unmittelbare Herkunft aus der malerischen Tradition, so die knieende
Frau, die auf Laastmans Braunschweiger Nausikaa-Darstellung zurückgeht und damit letzten En-
des auf die Frauengestalt aus Raphaels Transfigur ation. Anklänge an Rubens .Leichenbegängnis
des Consuls Decius Mus' spürt man wohl auch. Völlig unbühnenmäßig ist der Hintergrund. Die
Vermengung altfränkischer, antikischer und orientalischer Motive, wie sie in der Ausstattung vor-
liegt, kennen wir sowohl aus Theater als auch aus der Malerei. Beide gehen jetzt eben in diesem
Punkt vom gleichen Veranschaulichungsgedanken aus.« Siehe Gudlaugsson 1938, S.64. Wichtig
ist hier der Hinweis auf den »gleichen Veranschaulichungsgedanken« beider Künste, die gleiche
Inhalte formal ähnlich lösten. N

84 Alpers weist beispielsweise auf die enge Affinität von Rembrandt zur Amsterdamer Bühne hin.
Unter Berufung auf frühere Forschung schreibt sie: »Darüber hinaus wird vermutet, daß, Die Nacht-
wache' eine Szene, vielleicht sogar ein lebendes Bild (vertooning) aus einem historischen Drama
Vondels - .Gysbrecht van Amstel' oder (in meinen Augen weit überzeugender) einen Teil der

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